Wer wie ich in diesen Tagen mehr als sonst auf seine vier Wände verwiesen ist, hat Gelegenheit Dinge zu tun, die gewöhnlich liegen bleiben oder die wir gern vor uns herschieben. So habe ich beim Aufräumen die Taufschals unserer längst erwachsenen Töchter gefunden. In Gedanken hab ich mich daran erinnert, dass wir sie bei der Taufe auf diese damals noch winzigen Menschenkinder gelegt haben. Es sollte ein Zeichen sein für ihre und unsere Zugehörigkeit zu Christus. Ihn wollten wir hineinlassen in ihr und unser Leben, ihn wie ein schmückendes und schützendes Kleid „anziehen“ wie der Römerbrief (Röm 3,26-28) sagt.
Beim Anblick der Taufschals musste ich an Gottfried Kellers Novelle „Kleider machen Leute“ denken. Sie erzählt von einem arbeitslosen Schneidergesellen, der auf seiner Reise von einer feudalen Kutsche mitgenommen wird. Sein kostbarster Besitz ist ein selbstgeschneiderter Frack, mit dem er sich durchaus selbstbewusst kleidet. Als die Kutsche bei einem Dorfgasthof Pause macht, hält man den gut gedressten jungen Mann für einen Grafen und bewirtet ihn fürstlich. Als dieser das Missverständnis aufklären will und beteuert, kein Graf zu sein, halten Wirt und Dorfbewohner trotzdem an ihrer Wahrnehmung fest. So sehr sind sie von der vornehmen Kleidung beeindruckt und geblendet.
„Kleider machen Leute.“ Dieser Eindruck zählt in mancher Hinsicht bis heute. Und er markiert auch in unseren Tagen immer wieder gesellschaftliche Unterschiede und soziale Spaltung - frei nach dem Motto: Ich sehe, was Du anhast, und sage Dir, wer Du bist, ob und was Du zählst in unserer Gesellschaft. – Ganz anders und in deutlichem Kontrast Paulus und in seinem Gefolge der Anspruch der Christenheit. In seinem Brief an die Römer mahnt der Apostel die junge Gemeinde, dass mit der Taufe alle trennenden Unterschiede überwunden und alle Getauften in Christus geeint und verbunden sind. (Röm 3,26-28)
Ich vermute, dass nur wenigen katholischen Christen bewusst ist, dass die Besinnung auf die Bedeutung ihrer Taufe zur Vorbereitung auf das kommende Osterfest gehört. In der Feier der Osternacht erneuern wir das Christus - Bekenntnis, das einst Eltern und Paten stellvertretend für uns abgelegt haben. Und wir werden mit gesegnetem Wasser besprengt. „Wir sind getauft auf Christi Tod und auferweckt mit ihm zu Gott.“ So singen wir mit einem Lied unseres Gotteslobes (329,3.) Oder moderner: „Wenn das rote Meer grüne Welle hat, ziehen wir frei heim aus dem Land der Sklaverei.“ (Peter (Janssens)
In diesem Jahr können wir uns nicht zur gemeinsamen Osterfeier versammeln. Der Hoffnung, die aus unserer Christus – Verbundenheit kommt, können wir keinen öffentlichen Ausdruck verleihen. Das ändert nichts an der bleibenden Würde unseres Getauft – Seins. Mit ihr ist uns Christus ein für alle Mal als schmückendes und schützendes Kleid auf den Leib geschnitten. Dieses große Geschenk gilt auch und gerade in Zeiten der Corona – Krise, in der die Würde unseres Menschseins so fundamental auf die Probe gestellt wird.
„Was ist der Mensch!?“ (Psalm 8,4) – angesichts der Bilder von unzähligen Särgen, angesichts des verzweifelten Elends in vielen Krankenhäusern und Altenheimen, angesichts der wirtschaftlichen und politischen Dramen, der vielen großen und kleinen Leidensgeschichten dieser Tage …
„Wir sind getauft auf Christi Tod und auferweckt mit ihm zu Gott!“ Vor Gott und in Christus ist und bleibt jede und jeder unendlich wertvoll und jede/r hat einen Namen. Das gilt für die Lebenden. Das gilt für alle, die um ihr Leben ringen. Und das gilt gegen allen Augenschein auch für alle Toten.
Ein solches Bekenntnis macht den Namen Gottes „nicht zum Deckwort für eine gefährliche Beschwichtigung oder vorschnelle Aussöhnung mit unserer leidvoll zerrissenen Wirklichkeit. Denn gerade diese Hoffnung auf Gott ist es ja, die uns an sinnlosem Leiden immer wieder leiden macht. Sie ist es, die uns verbietet, mit der Sinnlosigkeit dieses Leidens zu paktieren. Sie ist es, die in uns immer neu den Hunger nach Sinn, das Dürsten nach Gerechtigkeit für alle, für die Lebenden und die Toten …weckt und die es uns verbietet, uns ausschließlich innerhalb der verkleinerten Maßstäbe unserer Bedürfniswelt einzurichten.“ (Synodenbekenntnis Unsere Hoffnung 1975)