Zaghaft, eher trotzig und leise habe ich in diesem Jahr mein Oster–Halleluja gesungen. Kann ich dem Leben trauen – mitten in einer Krise, die uns auch weiterhin tödliche Bedrohungen zumutet? Wann wird das alles enden? Und wie? Werden wir in ein gutes Leben zurückfinden? Was wird anders sein nach dieser Pandemie – mit uns selbst und mit der Welt? Was wird anders sein in der Art unseres Wirtschaftens und Konsumierens? Was wird anders sein in unserer Gesundheitsfürsorge, in der (v.a. finanziellen) Anerkennung der Pflegeberufe? Was wird sich ändern auch in unserem Kirche- und Christsein? Und im Blick auf uns alle: Werden wir eine gesunde Balance finden zwischen den individuellen Freiheitsrechten und den Erfordernissen des Gemeinwohls?
Diese und gewiss noch viele andere Fragen warten auf lebenstüchtige Antworten. Die alten, bisher gültigen Gewohnheiten sind weitgehend verbraucht. Viele der bisherigen Wege sind abgelaufen oder haben sich doch als Sackgassen erwiesen. Die Lebenslüge unserer Gesellschaft wird offensichtlich. Wir beschwören zwar den unbedingten Wert menschlichen Lebens, handeln aber gleichzeitig überwiegend nach den Prinzipien ökonomischer und neuerdings auch ökologischer Nützlichkeit. – Doch: Wo Gefahr ist wächst – vielleicht – auch das Rettende! So steht jetzt nach Ostern an vielen Orten eine vertiefte Reflexion, eine muntere gesellschaftliche Debatte, eine beherzte Offenheit für neues Denken und Handeln an.
In der Begegnung mit dem Auferstandenen ergeht es uns in diesem Tagen nicht wesentlich anders als dem angeblich „ungläubigen“ Thomas des Oster – Evangeliums (Joh 20, 26-29). Auch wir hätten gerne klare und eindeutige, leicht praktikable Antworten auf all die anstehenden Fragen. Wer sehnte sich nicht nach gangbaren Auswegen aus all den Ungewissheiten, die uns in ganz unterschiedlicher Weise auf der Seele liegen und bekümmern. Aber die wird es nicht geben. Ich bin ziemlich gewiss: In unserem persönlichen und gesellschaftlichen Leben wird es nicht wesentlich anders sein als im Evangelium. Anstelle der heiß begehrten Patentlösungen und der ersehnten einfachen Antworten auf eine Fülle ziemlich komplizierter Fragen wird uns der Blick auf die Wunden zugemutet werden, die die Pandemiekrise gerissen hat und hinterlassen wird.
Wie dem angeblich „ungläubigen“ Thomas im Evangelium wird uns das Ansehen und das (hoffentlich vorsichtige und rücksichtsvolle!) Berühren dieser Wunden zugetraut werden: all der Enttäuschungen, der Desillusionierungen, der Zusammenbrüche, des Hochmuts und der Hybris … Als sei die Welt und das Leben ausschließlich unser Besitz! Und als könnten wir sie in einer von kollektivem Egoismus geprägten Lebensart nach den Maximen einer vorrangig an der Gewinnmaximierung Weniger interessierten Marktordnung und auf dem Rücken unserer natürlichen Mitgeschöpfe ausbeuten.
Vielleicht lernen wir jetzt in und hoffentlich auch nach der Krise, was uns bisher so schwerfiel: Unsere Erde ist – nicht nur in den schönen Sätzen einer päpstlichen Enzyklika – sondern in der Realität unseres Alltags ein gemeinsames Haus. Ein Haus, das uns allen anvertraut ist und für dessen Wohl wir in unserem Denken und Handeln, unserem Tun und Lassen gemeinsam verantwortlich sind. In Zeiten der Globalisierung hängt eben wirklich alles mit allem zusammen.
Wie in einem Brennglas verdichten sich in dieser Pandemie die Abgründe und die Ungerechtigkeiten, die unser menschliches Leben geißeln und das Leben auf unserer Erde spalten und zerstören. Selbst wenn wir hier bei uns vielleicht relativ glimpflich aus der unmittelbaren Krise herausfinden: An ihren Wunden kommen wir nicht vorbei. Ohne ihre Berührung, ohne das Ernstnehmen der Fragen, die sie an uns stellen, wird es kaum eine heilende Begegnung mit dem österlichen Christus geben. Das gilt für den angeblich „ungläubigen“ Thomas. Und das gilt allemal auch für uns.