MAGAZIN: Mental Load

Denn dran denken ist auch ein To-Do

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Datum:
Fr. 30. Aug. 2024

„Schatz, setzt du bitte Maisbällchen für die Kleine auf den Einkaufszettel? Morgen müssen neue Windeln und Feuchttücher in die Kita mitgenommen werden. Und frag deine Mutter bitte endlich, ob sie übernächste Woche aufpassen kann, wir sollten die Einladung zu- oder absagen”, sagt die weisungsbefugte Projektleiterin der Abteilung „Alltag” des Unternehmens „Familie”, als sie ihrem Mitarbeiter im abendlichen Stand-up Meeting die nächsten zeitkritischen Projektschritte mitteilt. Woher sie weiß, was alles zu tun ist? Na, weil sie dafür verantwortlich ist, könnte man antworten. In einem Unternehmen wäre sie das auch, allerdings, weil es ihr bezahlter Job ist. In der Familie ist sie es meist, weil sie sich verantwortlich FÜHLT – leider noch zu häufig als einzige. Diese ökonomische Analogie macht sichtbar, was meist unsichtbar und verborgen bleibt: die mentale Arbeit rund um die Organisation und Durchführung des Projekts Familienalltag. 

Sorgeverantwortung und ihre unsichtbaren Aufgaben

Zu wissen, was alles für wen bis wann und auf welche Weise zu tun ist, stellt eine permanente und zeitaufwendige Arbeit dar, die Studien zufolge immer noch zu einem großen Teil bei den weiblichen Mitgliedern der Familie verortet ist. Da diese statistisch gesehen aber nicht nur das Unternehmen Familie schmeißen, sondern auch selbst arbeiten gehen, ist eine Überbelastung vorprogrammiert: Symptome wie chronische Erschöpfung und Schlafstörungen sind die Konsequenz, aus denen Folgesymptome wie Herz-Rhythmus Störungen, Essstörungen, Depressionen oder Immunschwäche resultieren können. Diese gesundheitlichen Einschränkungen rütteln an der eigenen Belastbarkeit und das führt zu noch mehr Druck – eine gefährliche Abwärtsspirale, die folgenschwer ausgehen kann. Dieses Phänomen wird seit einigen Jahren mit dem Begriff „Mental Load” bezeichnet und verhilft ihm auf diese Weise zu einer griffigen Nachvollziehbarkeit. Er beschreibt, dass es rund um die Sorgeverantwortung einer Familie sichtbare und unsichtbare Aufgaben gibt, die, gerade wegen ihrer Unsichtbarkeit, nicht ausreichend anerkannt und wertgeschätzt werden. Ein alltägliches Beispiel, anhand dessen sich diese Dynamik gut darstellen lässt, ist das Abendessen. Die sichtbare Aufgabe ist hier: Es steht Essen auf dem Tisch, das vorher zubereitet wurde. Die unsichtbaren Aufgaben (vorher und nachher) sind zum Beispiel: die Lebensmittelvorlieben und -verträglichkeiten aller Familienmitglieder kennen und berücksichtigen, die Überlegungen zum Speiseplan der restlichen Woche und die Frage nach der Ausgewogenheit der Ernährung, danach, welche Zutaten benötigt werden, welche davon noch vorhanden und haltbar sind, die Zeitplanung zum Einkauf, die Bereitstellung aller benötigten Küchengeräte und Oberflächen zum Kochen. Nachdem alle gegessen haben, wird der Tisch abgeräumt – dies vielleicht noch mit Unterstützung durch andere Familienmitglieder –, aber dann muss die Spülmaschine auch frei und ausgeräumt sein, die Reste müssen umgefüllt und in Kühl- und Tiefkühlschränke verräumt werden. Dabei gilt es im Blick zu haben, wann und in welcher Form sie weiter-/wiederverwertet werden können und zuletzt müssen sämtliche Gerätschaften (Herd/Messer/Küchengeräte) gesäubert und wieder bereitgestellt werden. 

 

Erkennen, wann die mentale „Ladung“ zu viel ist 

Das Abendessen-Beispiel ist nur eines von vielen, die im Verlauf einer „normalen” Familienwoche anfallen. Wie alle Familien wissen, gehören in regelmäßiger Rotation auch sämtliche zu bedenkenden Sonderfälle zu einer „normalen” Woche: Arzt- und Impftermine, die nächste Kleider- oder Schuhgröße – passend zur Jahreszeit und inkl. der in Schule oder Kita verbleibenden Wechselsachen sowie Sportbeutel – im Blick haben, Schul- und Bastelmaterialien, die Hausapotheke, Geschenke, Anrufe und Besuche zu allen Anlässen und Feiertagen der Kern- und Schwiegerfamilie, Kindergeburtstage der eigenen Kinder und deren Freund:innen, die vielen Namen des Betreuungspersonals, der Lehrkräfte, Freund:innen und deren Eltern merken. Es geht weiter mit dem sozialen Engagement in Schule und Vereinen (Helfer:innenschichten, Kuchenbasar etc.), Eltern-WhatsApp Gruppen von Verein, Schule, Kita und so weiter und ganz generell die Koordinierung der Termine aller Familienmitglieder inkl. der nötigen Vor- und Nacharbeiten. Eine schwindelerregende Aufzählung, finden Sie nicht? Gerade deshalb ist es so wichtig, zu sehen und anzuerkennen, über welche Ladung Arbeit man hier spricht.

Durch den Begriff „Mental Load“ und dessen Erläuterung können viele Menschen überhaupt erstmals erkennen, „dass sie das auch haben“, was ein sehr wichtiger und erster Schritt zur Besserung ist. Die unzähligen Kommentare unter Social Media Posts und Blogartikeln zeigen: vor allem die Erkenntnis, dass man damit nicht alleine ist und es auch keinesfalls ein „normaler“ Zustand sein darf, chronisch erschöpft und überfordert zu sein, sorgt für Entlastung und erleichtert den Weg hin zu Lösungen, die eine gesunde Balance und faire, gemeinsame Aufgabenverantwortung möglich macht. 

 

Warum helfen manchmal keine Hilfe ist 

Wie also packt man das Problem an und sorgt für mehr Entlastung und eine faire Verteilung des Mental Loads innerhalb der Familie? Der wichtigste und erste Schritt ist das Anerkennen der „unsichtbaren” Sorge-Aufgaben und das Verständnis davon, hier eine Verantwortung zu sehen, die nicht nur auf einer Person lastet – die die alleinige Projektleitung für die Abteilung „Alltag” im Unternehmen „Familie” innehat –, sondern auf mehrere Schultern verteilt werden sollte. Das bedeutet in einer gleichberechtigten Partner- und Elternschaft, dass nicht der eine der anderen „hilft”, sondern gleichsam Verantwortung für die „Abteilung” übernommen wird.
Denn all die oben genannten sichtbaren und unsichtbaren Aufgaben müssen als Aufgabe erkannt, bedacht, geplant und erledigt werden. Wenn eine Person weiterhin die Hauptverantwortung trägt, bleibt das Erkennen, Durchdenken und Planen der Aufgabe trotzdem Teil der Arbeitslast – dazu kommt dann noch das Erklären, Erinnern und Kontrollieren (ob die Aufgabe erfüllt wurde), während die „helfende“ Person lediglich mit der Ausführung beschäftigt war. „Hättest du doch was gesagt, dann hätte ich dir geholfen“ löst das Problem also leider nicht.

Wie immer ist eine vertrauensvolle und wertschätzende Kommunikation ein elementarer Schlüssel: Darüber zu reden, wie es einem damit geht, was man sich wünscht und verändern möchte und dies ohne Verletzung und Frust auszutauschen, ist essentiell. Auf der einen Seite ist es wichtig, Überlastung und Zufriedenheit ernst zu nehmen, auf der anderen Seite gilt es ehrlich abzuklopfen, welchen Standard mit welchen Ressourcen und welchem Zeitaufwand dem Familienleben dient. Die Gesamtheit der sichtbaren und unsichtbaren Aufgaben zusammenzutragen, die persönlichen Präferenzen zu berücksichtigen, den zeitlichen Aufwand zu tracken und regelmäßig zu besprechen, wie es klappt, ist – wie bei gutem Projektmanagement – ein Must-Do.
Wer es nicht 50:50 aufteilen kann oder möchte, weil ein Elternteil z.B. weniger Erwerbsarbeit und dafür mehr Sorgearbeit übernimmt, sollte dann selbstverständlich auch die finanzielle Sorgeverantwortung füreinander regeln und die entstehende finanzielle Lücke ausgleichen, sodass kein Versorgungs-Nachteil aus der Übernahme von mehr Care-Arbeit – inkl. Mental Load – entsteht. Ein hemdsärmeliger Rollentausch zur Erprobung der Aufgabenfelder und -verantwortlichkeit kann ebenfalls helfen, die Perspektive zu wechseln und mehr Innensicht in die Last des Mental Loads zu bekommen.

Das bedeutet für alle Beteiligten, sich auf Veränderung und Neues einzulassen: Verantwortung zu übernehmen kann genauso herausfordernd sein, wie sie abzugeben. Wer sich aber auf den Weg macht, Lösungen zu finden und zu erproben, dabei an einem Strang zieht und mit viel Dialog und liebevoller Fürsorge füreinander die Abteilung „Alltag” gemeinsam wuppt, wird mit einer ganz anderen Qualität von Familienleben belohnt – ganz sicher! 


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