„Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen!“
Einer der faszinierendsten Heiligen der Neuzeit ist für mich Charles de Foucauld. Sein Leben – das macht ihn uns bei aller Fremdheit so ähnlich – ist ein Leben voller Brüche, voller Ortswechsel und Beziehungswechsel.
Früh verliert er Vater und Mutter, wächst bei Verwandten auf. Er entfernt sich vollkommen von Gott und Kirche, entscheidet sich für eine Karriere beim Militär und lebt ein Lotterleben. Nicht zuletzt die Begegnung mit tiefgläubigen Muslimen bei seinen Einsätzen in Marokko rüttelt ihn wach. In den sternenklaren Nächten Marokkos bekommt er eine Ahnung vom Geheimnis, das die Welt durchdringt und umgibt. Er notiert in sein Tagebuch: „In der Andacht solcher Nächte versteht man den Glauben der Araber an eine geheimnisvolle Nacht, wo ... die ganze unbelebte Natur sich neigt, um ihren Schöpfer anzubeten." Aber Charles de Foucauld findet deshalb noch lange nicht selbst zum Glauben. Doch es ist unruhig geworden in ihm. Eine Sehnsucht ist geweckt: „Diese Unruhe der Seele", notiert er an anderer Stelle, „dieses Suchen nach der Wahrheit, dieses Gebet: 'Mein Gott, wenn es dich gibt, lass mich Dich erkennen´."
Dieses kurze Gebet - „Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen!" - ist kostbar in unserer Zeit der Glaubensnacht und Gottesfinsternis. Auch Christen geraten immer wieder – erst recht in einer eher glaubensfeindlichen Umwelt – in eine Nacht des Glaubens hinein. Bislang als sicher erfahrene Orientierungen brechen plötzlich weg. Was bleibt und trägt noch? So werden Christen von ihrer eigenen Erfahrung her denen nahe, die ohne Vorgeschichte im Glauben plötzlich - durch irgendein Vorkommnis oder durch die innere Leere aufgeschreckt - wach werden und nach Gott zu fragen beginnen.
„Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen" – in dieser schweren Krankheit, mit der ich jetzt fertig werden muss;
„Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen" – in dieser zerbrochenen Beziehung, die mich enttäuscht zurücklässt;
„Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen" – in meiner Angst, den wachsenden Druck im Betrieb nicht mehr auszuhalten;
„Mein Gott, wenn es Dich gibt, lass mich Dich erkennen" – in meinem Enttäuscht-sein von einer Kirche, die mein Fragen nach Gott kaum ernst nimmt.
Wichtig ist nicht allein, dass wir wieder neu anfangen, nach Gott zu fragen. Wichtig ist gerade auch, wie wir nach Gott fragen. Dass wir nicht ich-bezogen und fordernd fragen. Dass wir mit einem aufmerksamen Blick auf unsere eigene Realität und auf die uns umgebende Realität nach Gott fragen.
Im Hohen Lied der Liebe aus dem Alten Testament ist dieses Suchen so beschrieben: „Des Nachts auf meinem Lager suchte ich ihn, den meine Seele liebt. Ich suchte ihn und fand ihn nicht. Aufstehen will ich, die Stadt durchstreifen, die Gassen und Plätze, ihn zu suchen, den meine Seele liebt." (Hld 3,1-2)
Es ist ein Suchen nach dem, den meine Seele liebt. Und ich kann Ihn suchen auf meinem einsamen Lager. Ich kann Ihn auch suchen in der Stadt, auf ihren Gassen und Plätzen – mittendrin in der Menschenmenge.
Wenn Du willst, frage Dich jetzt:
Mit welcher inneren Einstellung suche ich?
Suche ich Gott ich-bezogen?
Oder bin ich auch aufmerksam für die Wirklichkeit um mich herum?
Und:
Was könnte mir jetzt helfen in meiner Gottsuche:
die Einsamkeit, eine persönliche Begegnung oder einfach unter Menschen sein?
Georg Lauscher