Predigt von Bischof Dr. Helmut Dieser

beim Jahrgedächtnis zum 24. Todestag von Bischof Klaus Hemmerle im Hohen Dom zu Aachen

Bischof Dr. Helmut Dieser (c) Bistum Aachen / Carl Brunn
Datum:
Fr. 2. Feb. 2018
Von:
Diakone im Bistum Aachen

am Samstag, 27. Januar 2018; 3. Woche im Jahreskreis II: L: 2 Sam 12, 1-7a. 10 (gekürzt um VV 11-17); Ev: Mk 4, 35-41.

Liebe Mitbrüder im geistlichen Amt,

liebe Gäste beim Jahrgedächtnis für Bischof Klaus,
liebe Karnevalisten vom AKV,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,

im Jahr 1989 hat Bischof Klaus einen Fastenhirtenbrief geschrieben, der bis heute in unserem Bistum wirkt. Der Kernbegriff darin ist der von der „Weggemeinschaft", Es lohnt sich, noch einmal die vier Impulsfragen zu hören, mit denen er diesen Begriff umgab:

  • Die erste, sinngemäß: Wie können wir missionarische Gemeinde werden? Also den Glauben miteinander teilen und denen bezeugen, die von Sonntagsgottesdienst und Predigt nicht erreicht werden?
  • Die zweite: Jede Gemeinde soll eine Weggemeinschaft werden: viele Dienste ergänzen sich gegenseitig, nicht alles wird vom Priester oder von den Hauptamtlichen erwartet.
  • Die dritte: Weggemeinschaft zwischen mehreren Gemeinden: Gaben, Aufgaben, Leben, Dienste, auch priesterlicher Dienst werden miteinander geteilt.
  • Und die vierte: eine zeichenhafte Begrenzung unserer Erwartungen und Gewohnheiten in den Gemeinden. Bischof Klaus nannte das: „positive Armut".

Diese Idee der Weggemeinschaft und ihre Ausdeutung haben heute, 29 Jahre später, nichts von ihrer Bedeutung verloren, im Gegenteil: die Siutation heute ist noch viel zugespitzter, die Herausforderungen, die Bischof Klaus damals formulierte, greifen heute noch viel tiefer in unser Lebensgefühl in der Kirche hinein, sie tun noch mehr weh.
Die Begriffe, die wir heute dafür verwenden, haben sich allerdings weiter entwickelt.

  • Die erste Frage nach der missionarischen Gemeinde ist heute die Frage nach der Evangelisierung der großen Mehrheit der Menschen, die kaum noch mit der Kirche in Berührung kommen.
  • Die zweite Frage nach der Weggemeinschaft in der Gemeinde ist heute die Suche nach den Charismen der Getauften und ihrer Erweckung und Förderung für das Leben der Kirche.
  • Die Weggemeinschaft unter den Gemeinden nennen wir heute Vernetzung.
  • Aber die vierte Frage nach der positiven Armut schneidet uns heute am meisten ins Fleisch: Es ist die Angst, dass unsere kleinen Gemeinden keine Zukunft hätten, und der Vorwurf an die Kirche, dass sie sich fahrlässig zurückzieht vor allem aus den ländlichen Gebieten.

Für viele fühlt sich das an wie im Gleichnis, das Natan David vorträgt, um den seiner Schuld zu überführen: der Reiche nimmt dem Armen das kleine Lamm, das einzige, was er hat und was er liebt wie sein eigenes Kind, weg und verbrät es für sich selbst und für seine Bedürfnisse und Ansprüche.

Die Frage von Bischof Klaus nach einer „positiven Armut" durch „zeichenhafte Begrenzung unserer Erwartungen und Gewohnheiten", fällt heute auf einen vergifteten Boden nackter Existenzangst.

Der Fastenhirtenbrief 1989 begann mit einer Aussicht in die nähere Zukunft. Wie sieht die Kirche im Jahr 2000 aus?, hatte der Bischof damals gefragt. Heute, noch einmal 18 Jahre später, müssen wir feststellen, dass ein Begriff, mit dem der Bischof damals unbestritten argumentiert hat, uns unter der Hand zerrinnt: der Begriff „Gemeinde".
Wir fassen ihn heute in das neue Wort „GdG": Gemeinschaft der Gemeinden. Und wir erleben, wie auch diese Idee flüchtiger wird. Die GdGs zu vergleichen fällt schwer, denn sie sind alle sehr unterschiedlich: fusioniert, teilfusioniert, Einzelpfarren. Sie wollen im Großen noch immer das sein, was früher alles unter der einzelnen Gemeinde verstanden wurde, aber das fällt allen Beteiligten, Haupt- wie Ehrenamtlichen, immer schwerer.

Unser banger Blick in die Zukunft stellt immer mehr in Frage, ob wir eine untereinander vergleichbare, flächendeckende Gemeindelandschaft überhaupt noch haben werden, nicht nur im Bistum Aachen, sondern in ganz Deutschland. Unsere Erwartungen gehen eher dahin, dass es ganz unterschiedliche Orte von kirchlichem Leben geben wird, die aber allesamt genau das noch mehr brauchen werden, was Bischof Klaus gemeint hat mit seiner so nachhaltigen Begriffsprägung: „Weggemeinschaft".

Ich weiß, dass diese Aussichten für die allermeisten Gläubigen heute noch wenig verlockend klingen. Viele haben noch kaum ein Gefühl von Aufbruch und von Zuversicht auf neue Ziele, sondern glatt Untergangsstimmung. „Meister kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?" Und Jesus scheint auch heute zu schlafen. Oder vielleicht ist er gar nicht mehr mit drin in diesem Boot der Kirche heute, sondern längst ausgestiegen, weil sie schon seit Langem die falsche Richtung eingeschlagen hat und selber schuld ist an ihren  Schwierigkeiten? Auch diese Deutung findet sich heute in nicht wenigen Kommentaren und Einschätzungen unserer Zeitgenossen.

Ganz am Ende seines Lebens, 1994, kam Bischof Klaus in seinem letzten Fastenhirtenbrief noch einmal auf den von 1989 zu sprechen. Als er am 20. Februar 1994 verlesen wurde, war er schon tot. Doch sein letzter Blick in die Zukunft kann uns heute noch faszinieren. Der Bischof schrieb damals:

„Das alles hat doch mit Gott zu tun, Gott lebt doch nicht in einem weltlos abgehobenen Sonderbereich! Gewiß nicht – aber stellen sich unsere Kirchensorgen nicht manchmal allzu ähnlich dar wie die Sorgen schier aller Großinstitutionen? Wird das Einmalige, Andersartige der Botschaft Jesu nicht von uns verwaltet statt bezeugt? Sprechen wir so von Gott, daß wir dabei über uns persönlich, sprechen wir so von uns persönlich, daß wir dabei von Gott sprechen? Wenn Kirche Erzählgemeinschaft von Gott würde, dann könnte sie der Welt etwas geben, was andere ihr nicht geben können."

Darum, Schwestern und Brüder, muss es uns heute wirklich am meisten gehen: dass wir wieder persönlich von Gott sprechen lernen, indem wir beides zugleich lernen: über uns und über Gott zu erzählen. Denn unsere Existenz und das Evangelium liegen ineinander, und wer glaubt, fühlt und geht sein Leben anders, als wer den Glauben nicht in sich selber spürt.

All das meint aber Evangelisierung, Weggemeinschaft als Erzählgemeinschaft, mit Hemmerles Worten gesagt.

Noch einmal soll er selber zu Wort kommen. Am Ende des  Fastenhirtenbriefes 1994 bekennt er: „Liebe Schwestern und Brüder, es ging mir durchaus nicht nur um Strukturveränderung, sondern darin und davor um geistliche Erneuerung, als ich mit meinem Fastenhirtenbrief 1989 den Prozeß „Weg-Gemeinschaft" in unserem Bistum anstieß".
Über diesen Hinweis dürfen wir alle uns heute 24 Jahre nach seinem Tod sehr freuen, denn unser geistlicher Dialog- und Veränderungsprozess „Heute bei dir", den wir dieses Jahr beginnen, hat genau diese Ausrichtung: die Inhalte, die Freude des Evangeliums, zuerst wieder zu entdecken in vielen Situationen des Gesprächs über das Leben, über den Glauben.
Darin und also zuvor und zuerst sicherer werden über die Inhalte, die unsere Verkündigung und Seelsorge heute besonders braucht. Und daraus erst die mühsamen Fragen nach der Weiterentwicklung der Strukturen: Wie sieht Pfarrei aus, was ist Gemeinde heute? Wie lebt sie, was braucht sie, was ist „positive Armut" als Loslassen von Erwartungen und Gewohnheiten, wie Bischof Klaus formulierte?

Eines aber haben wir dazu nötig, das uns die beiden Erzählungen aus der Heiligen Schrift heute vor Augen führen: herausfinden aus der Untergangsstimmung, herausfinden aus der Gefahr, dass die einen den anderen wegnehmen, was ihnen heilig ist, einfach weil sie am längeren Hebel sitzen wie David.

Und wir kommen wir dazu?
„Warum habt ihr solche Angst?", fragt Jesus. Wir müssen uns im Gesprächsprozess trauen, unsere Ängste und unsere Verlustabwehr und unsere Anklagen gegeneinander  anzuschauen und auszusprechen, um sie zu überwinden.

„Habt ihr noch keinen Glauben?", vor solchem neuen Hineingehen in den Glauben, der unsere Ängste überwindet, stehen wir dann immer und immer wieder.

In einem echten geistlichen Prozess aber kommen das Leben und der Glaube zusammen zur Sprache. Und so auch die Göttlichkeit und die Menschlichkeit Gottes in Jesus, der sogar dem Wind und dem See gebietet, der Ruhe einkehren lässt, der uns bei ihm geborgen sein lässt. So werden wir wir wieder tiefer spüren, wie großartig es ist, in der Kirche mit ihm in einem Boot zu sein und durch unser Leben und unsere Zeit heute fahren zu dürfen. Und zwar in neuer Weggemeinschaft mit vielen Menschen, die heute aus ihren Ängsten und Anklagen befreit werden möchten. Amen.

Bischof Klaus Hemmerle (c) Bistum Aachen
Bischof Klaus Hemmerle