Was ist Kontemplation?

In der christlichen Tradition können wir drei verschiedene Formen des Betens unterscheiden:

Datum:
Mi. 25. Mai 2016
Von:
Mathias Dederichs

• das gesprochene Gebet: Dank, Klagen, Bitten, Fürbitten und Anbetung;
• das betrachtende Gebet: die Meditation, die Betrachtung und Verinnerlichung des Wortes Gottes, sowie von religiösen Bildern und Symbolen;
• das schweigende Gebet: die Kontemplation, nichtgegenständliche Meditation.

Alle drei Formen können auch ineinander übergehen, hier und heute konzentrieren wir uns auf die dritte Weise, die Kontemplation.
Kontemplation ist die Bezeichnung für den christlich-mystischen Weg, sich in der Gegenwart Gottes zu erfahren, ja in liebender Hingabe an die letzte Wirklichkeit sich mit dieser als Einheit zu erleben. Das Wort „Kontemplation" kommt vom Lateinischen und setzt sich zusammen aus „con", das bedeutet „gemeinsam" oder „mit", und „templum", das bedeutet „Betrachtungsraum", Heiliger Raum der Gottheit, wo die Priester betrachten, beobachten und beschauen, was der Wille der Gottheit sei. So bedeutet auch das lateinische Verb „contemplari" „betrachten, beschauen". Es geht in der Kontemplation darum, selbst zum Tempel, zum Ort der Gottesbeschauung zu werden.

Eine sehr gute Formulierung für Kontemplation fand 1992 der Benediktinermönch Bede Griffiths (1906 – 1993), der sich für die christlich - hinduistische Verständigung und den Erfahrungsaustausch einsetzte:

„Kontemplation ist das Erwachen zur Gegenwart Gottes
im Herzen des Menschen und im uns umgebenden Universum.
Kontemplation ist Erkenntnis im Zustand von Liebe."

Da Gott nicht gegenständlich zu fassen ist, geht es in der Kontemplation nicht um ein rationales, sinnliches Betrachten, auch nicht von Worten, von Bildern und Symbolen wie in der Meditation, sondern um ein gegenstandsfreies Beschauen, eigentlich um ein Sich-Beschauen-Lassen, Sich-Durchdringen-Lassen vom Unbegreiflichen. Dazu ist Zeit und Raum der Stille erforderlich. In der Stille kommt der Mensch zu sich selbst, er lernt sich immer mehr auch in seiner Tiefe kennen. Die Selbsterkenntnis und die Gotteserkenntnis gehören untrennbar zusammen, wie zwei Seiten zu einem Blatt. Wir lernen in der Stille, uns selbst, unserer Wirklichkeit und der uns umfangenden Wirklichkeit Stand zu halten. Das kann ein Erschrecken sein, ist aber auch verbunden mit einem Staunen über Geheimnisse in unserem Leben und der Schöpfung, schließlich mit einem Staunen über ein letztes Geheimnis oder schon einem Ergriffensein von diesem, das wir nicht zutreffend bezeichnen können. Und doch haben Menschen aller Kulturen und Religionen das Unsagbare benannt: Das Göttliche, Gottheit, Gott, Ursprung des Lebens, Quelle der Liebe, Vater, Herr, Mutter, Grund, Sein, Einheit, letzte oder erste Wirklichkeit, Allah, Brahman, Tao und anders. Da solche Erfahrung „geheimnisvoll" ist, da sie mit der Vernunft nicht zu fassen ist, wird sie mystisch genannt. Mit Mystik bezeichnen wir das dem Verstand nicht mögliche, „geheimnisvolle" Erkennen und Schauen Gottes mit dem Herzen und im Geist, das aus Gnade erfahren wird. (Siehe dazu Matthäus 5,8: „Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.")
Die verschiedenen Meditationsformen, auch die nichtgegenständliche Meditation, kommen aus den unterschiedlichsten Religionen. So wie Zen aus dem Buddhismus kommt, so kommt die Kontemplation aus dem Christentum. Beide können sich gegenseitig befruchten und haben dies besonders im 20. Jahrhundert getan. Buddhistische Zen-Meister haben sich z.B. mit Meister Eckehart intensiv befasst und christliche Theologen wie Rudolf Otto (ev.) und der Jesuit Pater Lassalle (kath.) haben sich von Zen-Meistern im Zazen – dem Sitzen in Sammlung und Stille – einführen lassen und dabei ihren je eigenen Glauben intensiver erlebt. Inzwischen haben viele Christen für ihre Spiritualität von Zen her Anregungen erhalten und in der Kontemplation ihren christlichen Weg gefunden und die Schätze aus der Bibel und der christlichen Mystik ausgegraben. Dadurch haben sich auch alte Glaubensvorstellungen verändert und geweitet; der Denk- und Glaubenshorizont ist größer geworden.

Unser Weltbild und unsere Lebensweise haben sich gegenüber denen der Zeit der Entstehung der Bibel und der Christenheit früherer Jahrhunderte sehr verändert. Darum sind alte Texte oft nicht so einfach zu verstehen. Doch können wir von einigen dieser Texte hilfreiche Anregungen zu eigener Erfahrung erhalten. Es lohnt sich, auf solche Texte und ihre Erfahrung zu hören und zu schauen. Was kann, was will ich davon übernehmen und was nicht. Oder wie kann ich solche Texte für mich verändern, dass sie in mein Weltbild und in mein Leben hineinpassen.

Ein bekannter Text aus der mystischen Tradition stammt von dem Dominikaner Johannes Tauler (1300 -1361)

„Der Mensch lasse die Bilder der Dinge
ganz und gar fahren
und mache und halte seinen Tempel leer.
Denn wäre der Tempel entleert,
und wären die Phantasien,
die den Tempel besetzt halten, draußen,
so könntest Du ein Gotteshaus werden,
und nicht eher, was Du auch tust.
Und so hättest Du den Frieden Deines Herzens und Freude,
und dich störte nichts mehr von dem, was Dich jetzt ständig stört,
Dich bedrückt und leiden lässt."

Die Grundübung der Kontemplation:

  • Setze Dich an einen ruhigen Ort...
  • Sitze still und aufrecht...
  • Schließe leicht die Augen...
  • Sitze entspannt, aber ganz aufmerksam...
  • Atme ruhig und gleichmäßig...
  • Beobachte Deinen Atem...
  • Fange an, schweigend in Deinem Innern ein einzelnes Wort mit Deinem Atem zu verbinden: z.B. Shalom, Frieden, Jesus, Liebe oder ein anderes Wort...
  • Höre in dieses Wort hinein, wie Du es sprichst - sacht, aber unablässig...
  • Denke sonst an nichts, stelle Dir nichts anderes vor...
  • Kommen Dir Gedanken, denke sie nicht weiter...
  • Lasse sie wie eine Wolke vorbeiziehen...
  • Komme immer wieder zu Deinem Wort zurück...

Meditiere so jeden Morgen oder jeden Abend ungefähr 15 bis 20 Minuten lang. (Am Anfang kann es auch kürzer sein.)