Impuls für Oktober:Wem vertrauen Sie ? Und: Warum? Und … sind Sie sicher?

Ein Buch, das gerade recht neu erschienen ist, wirft unter anderem diese Frage auf, natürlich auch für mich persönlich. Ist es nicht aber schrecklich, denken zu müssen: „Kann ich dir wirklich vertrauen? Oder gibt es eine Seite an dir, die ich nicht sehe, ja vielleicht sogar bisher einfach nicht sehen wollte?“. Kann man so durchs Leben gehen?
Das Buch von Dr. Andreas Zimmer über Menschen die wegschauten, die nicht wahrhaben wollten, was ihnen eigentlich auffällig erschien in Situationen, in denen es sich um Missbrauch handelte, lässt einen schon etwas fragend zurück. Denn: Oftmals wurde weggeschaut, nicht geglaubt, verdrängt, was jemand tat, weil er oder sie eben vertrauenswürdig schien. Was bedeutet dieses Wissen für Ihre Freundschaften, familiären Beziehungen, Ihre Beziehung zu Mitschwestern, Mitbrüdern? Ist es nicht schrecklich, wie oben gesagt, denken zu müssen: „Kann ich dir wirklich vertrauen?“
Urvertrauen, das andere gut sind, zuverlässig, vertrauenswürdig, ist das größte Geschenk und die wichtigste Lebensgrundlage, die die ersten Bezugspersonen einem neuen Menschenkind vermitteln können. Müssen wir uns als Erwachsene, so wir dieses Urvertrauen überhaupt entwickeln konnten und nicht etwa dysfunktionale Beziehungen dies verhinderten, davon verabschieden? Nochmals: Wem vertrauen Sie? Und warum? Würden Sie, umgangssprachlich gesprochen, für ihn oder sie die Hand ins Feuer legen? Was rechtfertigt dies in Ihren Augen? Wie gut kennen Sie diesen Menschen? Wie gut können wir andere überhaupt kennen? Zimmer plädiert für ein sehr bewusstes Wahrnehmen von: „Da stimmt irgend etwas nicht. Da ist etwas merkwürdig“ auch dann, wenn wir eigentlich vertrauen oder zumindest annehmen, das „so jemand“ nichts Böses tut. Nur weil nicht sein kann was nicht sein darf, nur weil er / sie doch so ein integrer Mensch ist, mir bekannt, vertraut… darf ich nicht einfach wegschauen. Besonders natürlich dann nicht, wenn es um Schutzbefohlene geht. Auch hier ist Achtsamkeit statt Apathie gefordert, wie es der Titel des Buches sagt.
Muss ich nun ständig aufmerksam sein, ob mein Gegenüber sich angemessen verhält, nicht vielleicht doch Anlass zu einem Stutzen, zu einem unguten Gefühl gibt? So möchte ich eigentlich nicht leben. Ich möchte aber auch nicht in einer Welt, in einer Kirche, einer Familie, in einer Gemeinschaft leben, in der weggeschaut und verdrängt wird, was, wäre es wahrgenommen, bewertet und als Auslöser für Handeln genommen worden, anderen, z.B. missbrauchten Kindern, viel Leid erspart hätte.
Eine einfache Lösung, eine einfache Antwort auf all die hier nicht mal angesprochenen dazugehörigen Aspekte bietet auch das Buch nicht. Aber es ermutigt, sich zu schulen, den eigenen Eindrücken mehr nachzugehen, nicht blind zu sein und nicht fraglos zu vertrauen, wenn es Anlass zu einem Hinsehen und zur Nachfrage gibt. Blind vertrauen, dass ist, wie gesagt, ein Urbedürfnis von uns Menschen. Aber schenken dürfen wir es im Letzten nur dem, der nicht einfach „gut ist“, sondern der „das Gute“ ist.
Andreas Zimmer: „Achtsam statt apathisch. Hinweise für eine leidenssensible Ethik angesichts sexualisierter Gewalt“ (Herder 2025).
Sr. Lioba Zahn OSB