Wie haben sich Katholikinnen und Katholiken im Nationalsozialismus verhalten? Eine Frage, die Wissenschaft und Öffentlichkeit seit Jahrzehnten beschäftigt. Ein Ende der Debatte, auch über die Rolle der katholischen Kirche, ist nicht in Sicht. Mit einem Team aus jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben sich die beiden Historiker beim Landschaftsverband Rheinland (LVR), Dr. Helmut Rönz und Keywan Klaus Münster, im Bistum Aachen auf Spurensuche begeben. Bekanntes sollte zusammengetragen, vor allem aber auch neue Perspektiven eröffnet werden. Herausgekommen sind 30 Texte zu ausgewählten Biographien und Ereignissen aus der Geschichte des 1930 wiedererrichteten Bistums Aachen im Nationalsozialismus. Die etwa 200-seitige und umfangreich bebilderte Zusammenstellung zeigt ein breites Panorama zwischen Standhaftigkeit und Verstrickung. Das Buch leistet einen wichtigen Beitrag zum Verhältnis von katholischer Kirche und Nationalsozialismus im Bistum Aachen. „Pauschalurteile sind hier zu einfach und bilden die Komplexität historischer Sachverhalte selten ab“, erläutern Keywan Klaus Münster und Dr. Helmut Rönz. „Umso mehr muss das Gezeigte zum Nachdenken anregen“, betonen die Autoren.
Die vorgestellten katholischen Persönlichkeiten zeigen vielfältige Handlungsmuster und Entscheidungen. Der Bäckermeister Andreas Girkens, der zu seinen jüdischen Freunden hielt und im KZ-Außenlager Köln-Deutz infolge von Folterung starb, findet in dem Buch genauso Platz wie Geistliche, die für die Gestapo arbeiteten und Mitbrüder denunzierten. Auch die Perspektive der um politisches Fingerspitzengefühl bemühten Aachener Bischöfe wird beleuchtet. In anderen Texten, darunter eine Skizze über die Reichspogromnacht in Aachen, blicken die Autoren auf den Umgang der katholischen Bevölkerung mit der menschenfeindlichen Ideologie des Nationalsozialismus.
„Die Offenheit des Bistums und die gute Zusammenarbeit haben die Grundlagenforschung für dieses Projekt wirklich fruchtbar gemacht“, hebt Dr. Helmut Rönz hervor. Er ergänzt: „Auf diesem Weg konnten auch einige Vorannahmen über die Geschichte des Bistums Aachen korrigiert werden. Wir wollten auch andere Themen ins Licht rücken und für eine breitere Perspektive sensibilisieren. Ein Anfang ist gemacht.“
Die gemeinsame Veröffentlichung des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen und des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte dokumentiert die Ergebnisse einer gleichnamigen Ausstellung in den Räumlichkeiten der Seelsorge im Nationalpark Eifel und Vogelsang. Seit 2019 können Besucherinnen und Besucher dort digital Einblick nehmen, sich mit Einzelfällen beschäftigen und, so die Hoffnung, Denkanstöße für die Gegenwart mit nach Hause nehmen. Das liegt auch im besonderen Interesse des Bistums: „Ich freue mich, dass unsere Schriftenreihe mit dieser differenzierten Sicht auf einzelne Biographien und Ereignisse, die gerade auch durch intensives Forschen in verschiedenen Archiven entstanden ist, fortgesetzt werden kann“, betont Dr. Beate Sophie Fleck, Direktorin des Diözesanarchivs Aachen.
Das Buch ist ab sofort beim Einhard Verlag, im Diözesanarchiv und im Buchhandel erhältlich:
Das Bistum Aachen im Nationalsozialismus. Eine Spurensuche in Biographien und Ereignissen, bearb. v. Helmut Rönz/Keywan Klaus Münster (Veröffentlichungen des Bischöflichen Diözesanarchivs Aachen, Bd. 52), Aachen 2022, 29,80 Euro.