Dr. Andreas Frick, Generalvikar des Bistums Aachen, über die Verzweiflung von Opfern der Hochwasser-Katastrophe, die Kraft durch Zuhören und konkrete kirchliche Hilfen.
Gemünd, Kall, Eschweiler, Stolberg, Schleiden, Kornelimünster: Sie waren seit der Hochwasser-Katastrophe täglich an den Krisenorten unterwegs und haben mit vielen Menschen gesprochen. Was bewegt die Betroffenen?
Es bietet sich ein so vielfältiges und zugleich erschütterndes Bild. Allerorts sind helfende Hände unterwegs und es ist eine einzigartige Solidarität spürbar. Alle packen mit an, räumen Schutt weg und sind unermüdlich im Einsatz. Aber bereits jetzt ist eine unendliche Trauer, Verzweiflung und auch Wut spürbar. Viele haben Angehörige, Freunde oder gleich ihre gesamte Existenz verloren. Traumata entstehen. Helferinnen und Helfer sind psychisch und körperlich am Ende. Wir dürfen nicht vergessen: Viele haben bereits in den Pandemie-Zeiten unglaubliches geleistet. Da sein, zuhören, trösten, das spendet derzeit ein bisschen Kraft. Deshalb stehe ich mit den Kollegen Regionalvikaren in regelmäßigem Whatsapp-Kontakt, damit wir pastoral vor Ort wirksam unterstützen können. Ganz zu schweigen von unseren Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern, die überall im Einsatz und immer erreichbar sind. Ebenso stehen unsere Beratungszentren in Aachen und Mönchengladbach zur Verfügung.
Es geht also um mehr als finanzielle Unterstützung?
Selbstverständlich ist es wichtig, dass rasch und unbürokratisch finanzielle Mittel bereitgestellt werden. Es wird noch Wochen und Monate dauern, bis die größten Schäden beseitigt sind. Von den seelischen Belastungen ganz zu schweigen. Entscheidend wird aber auch sein, wie wir als Kirche die schwierigen Phasen des Neuanfangs durch unsere Angebote und Nähe menschlich pastoral begleiten. Viele, auch kleine Unternehmer, Händler und Gastronomen standen schon durch die Corona-Pandemie unmittelbar vor dem Aus. Nunmehr ist alles vernichtet. Wir als Bistum haben umgehend einen Solidaritätsfonds für vom Hochwasser betroffene Kinder und Familien für Spenden eingerichtet. Darüber hinaus planen wir einen weiteren Nothilfefonds, in den wir einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe einbringen. Das schüttelt man allerdings nicht gerade einmal so aus dem Ärmel. Die Caritas beginnt in der kommenden Woche mit der Auszahlung von Hilfen, die in den Kirchengemeinden, katholischen Einrichtungen und regionalen Caritas-Anlaufstellen über Formulare beantragt werden können. Alle Hilfseinrichtungen bitten zwar derzeit darum, auf Sachspenden zu verzichten. Was aber gebraucht wird, sind Kühlschränke, Trocknungsgeräte, Waschmaschinen und Herde.
In Schleiden und Kall war die Versorgung durch die mobilen sozialen Hilfsdienste der Caritas zwischenzeitlich eingebrochen. Wie kann sichergestellt werden, dass Senioren und Bedürftige weiterhin betreut werden?
Die Pflege alter und kranker Menschen muss trotz Verwüstung weitergehen. Das ist nicht nur eine große organisatorische Aufgabe, sondern ist natürlich auch abhängig davon, ob genügend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Mich beeindruckt schon, mit welcher Flexibilität alle vor Ort Einsatzpläne aufstellen und die Betreuung sicherstellen. Dafür gilt allen meine große Hochachtung und tiefer Dank.
Krisenmanagement funktioniert nicht ohne Vernetzung. Wie läuft die Abstimmung zwischen Bistum, den Kommunen und der Politik?
Sie läuft. Von Anbeginn der Flutwelle bin ich mit der Oberbürgermeisterin von Aachen Sibylle Keupen und dem Städteregionsrat Tim Grüttemeier in engem Austausch. Wir halten uns auf dem Laufenden. Kornelimünster, Stolberg und Eschweiler hat es ja ebenso enorm getroffen. Mit den Orten verbinden mich übrigens auch persönlich viele Bezugspunkte. In Kornelimünster wurde ich getauft, in Stolberg bin ich aufgewachsen und in Eschweiler war ich lange Pfarrer. Dort geht es jetzt darum, gemeinsam mit Bund und Land für das St. Antonius-Hospital in Eschweiler dringend eine Lösung zu finden. Generell gilt: In Krisenzeiten ist es gut, wenn vor Ort alle kirchlichen Entscheidungsträger in einem offenen Austausch mit regionalen und lokalen Verantwortlichen stehen. Dann können schnell und sachgerecht Lösungen gefunden und Hilfen bereitgestellt werden. Und das erlebe ich derzeit in beeindruckendem Maße.
Wie stark sind kirchliche Einrichtungen von der Zerstörung betroffen?
Wir können das noch nicht endgültig beziffern. Das St.-Antonius-Hospital in Eschweiler ist von der Flut mit voller Wucht getroffen worden. Dass die Patientinnen und Patienten in dieser dramatischen Situation sicher evakuiert werden konnten, ist dem Krankenhaus-Team und allen Rettungskräften zu verdanken. Dabei ging es buchstäblich um Minuten. Auch die Kirche St. Kornelius in Kornelimünster wurde durch das Wasser extrem beschädigt. Insgesamt wissen wir bislang von 14 Einrichtungen, darunter auch das bischöfliche St.-Ursula-Gymnasium in Geilenkirchen, wo der Keller unter Wasser stand. Damit Trocknungsgeräte und Baumaterial angeschafft werden können, stellen wir kurzfristig und unbürokratisch Soforthilfen zur Verfügung, um die Handlungsfähigkeit sicherstellen zu können. Aber ehrlich gesagt, derlei Schäden in Bauten und Gebäuden verblassen angesichts des großen menschlichen Leids.
Wie kann die Trauer bewältigt werden?
Es fällt schwer, das in Worte zu fassen. Ich möchte, dass wir als Kirche da sind und die Bedürfnisse der Menschen ernst nehmen. Es hat mich ganz besonders getroffen, dass eine Abiturientin der Clara-Fey-Schule in Schleiden, die vor den Ferien noch mit Freunden, Eltern und Mitschülern einen neuen Lebensabschnitt gefeiert hat, von den Fluten mitgerissen wurde. Auf dieses Leid habe ich auch als Priester keine Antwort. Mein tiefstes Mitgefühl und Gebet gilt den Eltern, der Familie und den Freunden. Und selbstverständlich schließe ich alle Betroffenen der Katastrophe in dieses Gedenken mit ein.
"Heute bei dir", der Titel unter dem das Bistum Aachen einen synodalen Veränderungsprozess für die Zukunft des Bistums Aachen angestoßen hat, wirkt angesichts der Flutwelle extrem konkret. Also raus aus den theologischen Diskursen?
Wir erleben gerade, dass unser Anspruch und kirchliches Selbstverständnis einen Realitätscheck im Schnelltempo durchläuft. Das kann uns nur entschlossener machen, unserer eigentlichen Verantwortung gerecht zu werden. Die Lebenswirklichkeit von Menschen wahrzunehmen, zuzuhören und zu handeln.
Dazu gehört auch, dass wir uns als Bistum weiter verändern müssen.