Zur Freiheit hat uns der Messias befreit, steht also aufrecht und lasst euch nicht wieder unter das Joch der Sklaverei fangen. [...] Ihr aber, Schwestern und Brüder, seid zur Freiheit gerufen, nur sei die Freiheit kein Vorwand dafür, es der herrschenden Weltordnung nachzumachen, sondern durch die Liebe sollt ihr füreinander Sklavendienst leisten. Denn die ganze Tora ist in einem einzigen Wort erfüllt: Liebe deinen Nächsten und deine Nächste wie dich selbst. Wenn ihr einander jedoch reißt und beißt, seht zu, dass ihr voneinander nicht aufgefressen werdet. Ich sage aber: Lebt in der Geistkraft und ihr werdet euch von den Begehrlichkeiten, die in der Hörigkeit gegenüber der herrschenden Weltordnung wurzeln, nicht steuern lassen. Denn der herrschaftshörige Impuls begehrt gegen die Geistkraft auf; die Geistkraft aber gegen die Herrschafts-Hörigkeit: Diese beiden sind das wirkliche Gegensatzpaar, und deswegen tut ihr nicht, was ihr eigentlich tun wollt.
Wenn ihr euch aber von der Geistkraft leiten lasst, steht ihr nicht unter der Gesetzesanordnung.
Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Galatien, Kapitel 5, Verse 1 und 13-18.
Bei der neutestamentlichen Lesung zum 13. Sonntag im Jahreskreis spricht viel für die Verwendung der Bibel in gerechter Sprache. Die Einheitsübersetzung übersetzt die letzten Verse nämlich mit "Wandelt im Geist, dann werdet ihr das Begehren des Fleisches nicht erfüllen! Denn das Fleisch begehrt gegen den Geist, der Geist gegen das Fleisch, denn diese sind einander entgegengesetzt..." Wieviel Leibfeindlichkeit hat sich auch wegen dieser Verse im Christentum ausgebreitet, wieviel Körperkontrolle sollte damit gerechtfertigt werden, wieviel psychische Not wurde damit verursacht und wieviel ungelebtes Leben war die Folge.
Die Bibel in gerechter Sprache überträgt hier das griechische "sarx"/"Fleisch" im Sinn von "Konformität mit der Weltordnung des Imperiums". Anders als "soma" für "Leib" steht "sarx" nämlich für alles, was weltlich und damit auch unerlöst ist. Denn die gesamte Menschheit gibt es in diesem, von der hebräischen Bibel geprägten Denken nur als erlösungsbedürftig - denn überall, wo es Menschen und menschliche Freiheit gibt, gibt es auch das Sich-Verfehlen dieser Freiheit, und niemand entspricht aus sich heraus der Gerechtigkeit Gottes. Paulus stellt den Geist, "pneuma" dagegen: was gnadenhaft geschenkt ist und den Menschen in den Bereich Gottes bringt.
Beim Gegensatz von Geist und Fleisch geht es aber nicht um einen Gegensatz im Menschen, in dem Körperlichkeit und Geistiges gegeneinander stünden. Es geht in diesem Text nicht darum, dass man den eigenen Leib geringschätzen, abwerten, Empfindungen als sündhaft fürchten, sich Genuss verbieten sollte. Sondern die Zielrichtung des Textes ist, dass es weltliche Maßstäbe gibt und solche, die aus der Gnade Gottes kommen - und dass Leben aus der Gnade Gottes gerade heißt, sich nicht den unterdrückenden Logiken der (römischen) Gesellschaftsordnung anzuschließen.
Freiheit heißt nicht, kein Gesetz mehr zu befolgen und sich nichts und niemandem mehr verpflichtet zu wissen. Frei zu sein in der Gnade Gottes heißt, die unterdrückende Weltordnung hinter sich zu lassen. Und in einem zweiten Schritt braucht man zum Leben aus dem Geist nach Paulus aber eben nur noch den Glauben an Jesus Christus, nicht mehr das Einhalten des gesamten jüdischen Gesetzes.
Und was ist nun diese unterdrückende Weltordnung? Im Alten Rom ist es die Herrschaft einer weniger über die vielen, die Trennung in Sklaven und Freie, die militärische Unterdrückung und die Ausbeutung unterworfener Gebiete. Wenn es um ungerechte Wirtschaftsordnungen heute geht, wäre heute wohl der Kapitalismus als erster zu nennen - dann heißt "Leben aus dem Geist", dessen Rechtfertigung von Arm und Reich nicht hinzunehmen und sich ihr so gut wie möglich zu entziehen, ihr den Boden zu entziehen. Genauso wichtig sind aber die mit dem Kapitalismus eng verflochtenen großen Unterdrückungsmechaniken: Rassismus, Sexismus, Kolonialismus, Ableismus.
In der Kirche aus dem Geist Gottes leben heißt dann: Einen Gegenentwurf zur ungerechten Ordnung wagen, und nicht mit kirchlichen Regeln ungerechte Ordnungen noch fortzuschreiben, wenn sie gesamtgesellschaftlich längst in Frage gestellt werden. Dann darf natürlich auch Sexmismus in der Kirche keinen Platz mehr haben. Das gilt auch für die zum Glaubensgut erhobenen Geschlechterlehre, die Geschlechterentwürfe des 19. Jahrhunderts sakralisiert und der Kritik entzieht.
Kurz: Leben aus dem Geist heißt darum auc, Geschlechtergerechtigkeit zu verwirklichen.