Ich bin überzeugt, dass die Leiden, die wir jetzt zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfahren, ihre Macht verlieren im Glanz der kommenden göttlichen Gegenwart, die sich an uns offenbart. Die gespannte Erwartung der Schöpfung richtet sich darauf, dass die Töchter und Söhne Gottes offenbar werden. Denn die Schöpfung ist der Nichtachtung ausgeliefert – nicht aus freier Entscheidung, sondern gezwungen von einer sie unterwerfenden Macht. Sie ist aber ausgerichtet auf Hoffnung. Denn auch sie, die Schöpfung, wird aus der Versklavung durch die Korruption befreit werden und wird teilhaben an der Befreiung der Kinder Gottes durch die göttliche Gegenwart. Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam schreit und mit uns zusammen an der Geburt arbeitet – bis jetzt! Denn nicht nur sie allein schreit, sondern auch wir, die wir schon die Geistkraft als ersten Anteil der Gottesgaben bekommen haben, wir schreien aus tiefstem Innern, weil wir sehnlich darauf warten, dass unsere versklavten Körper freigekauft und wir als Gotteskinder angenommen werden.
(Brief an die jesusgläubige Gemeinde in Rom, Kapitel 8, Verse 18-23)
Töchter und Söhne, Gotteskinder: Das sind die Jesusgläubigen schon, und als das sollen sie offenbar werden. Im Griechischen steht hier hyios, normalerweise mit "Sohn" übersetzt. Dabei geht es aber mehr um Abstammung und Zusammengehörigkeit als um das Geschlecht, andernfalls wäre es nicht zu erklären, warum dem Wort manchmal noch die Präzisierung "männlich" hinzugefügt wird. Im Deutschen können wir hier neutrale Worte verwenden: Kinder, und analog dazu Geschwister. Das Altgriechische kennt sowohl "Kinder" als auch "Söhne" für Nachkommenschaft, wobei es bei den "Söhnen" eben vor allem um das Abstammungsverhältnis geht. Dass den "Söhnen" explizit die "Töchter" hinzugefügt werden, war damals noch undenkbarer als heute, wo immer wieder Menschen die Bitte um sprachliche Gerechtigkeit empört ablehnen. Dass es nicht nur um männliche Nachkommen geht, sieht man auch daran, dass Paulus hier "Söhne" und "Kinder" synonym verwendet.
Wenn die Ausgangssprache einer Übersetzung offensichtlich diskriminiert, dann wird der Sinn des Textes durch eine wörtliche Übersetzung schnell verzerrt. So geschieht es bei der Einheitsübersetzung, wenn sie hier liest: "Denn die Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Söhne Gottes. Gewiss, die Schöpfung ist der Nichtigkeit unterworfen..." An dieser Stelle könnten alle Frauen den Gottesdienst auch genausogut verlassen, denn sie sind dann weder mitgenannt noch mitgemeint - anders als bei Paulus, der sie wenigstens mitmeint, weil er danach eben von der "Befreiung der Kinder Gottes" schreibt. Diskriminierung fortzuschreiben ist immer einfacher, als geduldig zu entwirren, welche Wirklichkeit in der Frauen beschweigenden Ausgangssprache gemeint sein könnte, an welche Leser*innen sich der Brief richtete und ob nicht auch unsere Glaubensschwestern damals schon immer wieder darauf hinweisen mussten, dass Gott nur Kinder kennt, ohne diese nach ihrem Geschlecht herauf- oder herabzustufen.
Der Brief richtet sich an eine ganze Gemeinde, nicht nur an deren männliche Mitglieder. Frauen werden bei den Grüßen am Schluss explizit genannt - auch wenn eine davon, Junia, in der Christentumsgeschichte zu einem Junias wurde, so unvorstellbar erschien den Kopisten eine Frau mit eigenem Namen in einer Leitungsfunktion. Und ist diese Selbstverständlichkeit noch einmal in Erinnerung gerufen, dann kann man auch nochmal den Textausschnitt angucken und zum Ergebnis kommen, dass ein Geburtsgleichnis einigermaßen unpassend wäre, wären ausschließlich Männer gemeint.
Und wie wahr ist diese Passage: Wir erleben immer wieder, wie sehr unsere Welt Verwandlung nötig hat, wie sehr sie von Nichtachtung und Versklavung durch Korruption gezeichnet ist. Die Einheitsübersetzung liest hier "Nichtigkeit" und "Vergänglichkeit", aber damit wird der Text unnötig spritualisiert und entpolitisiert. Auch die "Erlösung der Körper" heißt nicht, dass unser Leib schlecht, nicht gotteswürdig wäre, denn das griechische soma heißt auch "Geschöpf" und "Gemeinschaft". Es sind wir alle mit unserer ganz realen, ganz greifbaren Existenz, die auf das Offenbarwerden des göttlichen Glanzes hoffen. Ein Offenbarwerden, vor dem die ausbeuterischen Strukturen einer zynischen Medienökonomie, eines kalten Gewinnstrebens, eines ausbeuterischen Umgangs mit der Erde an ihr Ende kommen, sich als nichtig erweisen. Das ist dann auch ein Offenbarwerden, in dem die Entwürdigung durch Rassismus, Sexismus, Ableismus ihr Ende findet. Sie haben keinen Platz im Glanz Gottes, denn Gott macht das Kleine groß und spielt nicht mit beim Spiel mit Menschenleben, das Mächtige spielen, als gälten diese Leben nichts.
Die angeschriebene Gemeinde hat schon eine Ahnung von dieser großartigen Vision, sie lebt schon aus der Kraft, die diese freisetzt, weil sie die göttliche Geistkraft gegenwärtig glaubt und aus diesem Glauben eine große Hoffnung kommt. Sie hat diese Ahnung von einer Gegenwart, in der menschliche Ausbeutungsverhältnisse ihre Macht verlieren. Diesen Text nicht inklusiv zu lesen, heißt letztlich, solchen Ausbeutungsverhältnissen wieder, immer noch, immer wieder zu Macht zu verhelfen. Die Welt sähe anders aus, wären Frauen in solchen nicht so unsichtbar wie in den gängigen Übersetzungen, wie ihre Care-Arbeit, wie ihre Altersarmut, wie ihre Misshandlung auf unsicheren Fluchtrouten. Frauenrechte sind Menschenrechte, und Gottes Kinder sind Töchter, Söhne und noch viel mehr.
Zum Evangelium: Siehe den Beitrag von 2020