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19. Sonntag im Jahreskreis C // zur zweiten Lesung

Datum:
Fr. 5. Aug. 2022
Von:
Annette Jantzen

Der Brief an die Hebräer*innen ist schwere Kost. Eine kunstvoll durchkomponierte Predigt, sprachlich und stilistisch ausgesprochen anspruchsvoll, und befasst mit Bildern, die für heutige Leser*innen mindestens befremdlich, wenn nicht abstoßend sind. Da er anonym überliefert ist, muss übrigens offenbleiben, ob er von einer Frau oder von einem Mann verfasst worden ist. Dass er anonym ist und keine persönliche Autorität der Autorin*des Autors geltend macht, spricht sogar eher für eine weibliche Urheberschaft, auch wenn dieser Nachweis nicht geführt werden kann. Wenn eine Frau den Text verfasst hat, dann ist das aber keine Garantie dafür, dass er auch frauenbefreiende Perspektiven vertritt und patriarchale Denkmuster vermeidet.

Die Predigt an die Hebräer*innen richtet sich an griechischsprachige Judenchrist*innen, ansonsten weiß man nicht viel, nicht einmal, ob sie vor oder nach Zerstörung des Jerusalemer Tempels verfasst wurde: irgendwann in den Jahren 60 bis 100 n. Chr. Irgendwo in dieser langen und über weite Strecken vergessenen Geschichte des christlichen Glaubens haben Menschen diese Predigt gehört, gelesen, für bedeutsam gehalten und weitergegeben. 

Die Sonntagslesung setzt am Beginn des dritten Teils des Hebräer*innen-Briefs ein. Vorausgegangen sind grundlegende Überlegungen, wie sich Jesus als Sohn Gottes  erwiesen hat und wie sein Tod als endgültiges Opfer zu verstehen ist - hier baut der Brief eine originelle Brücke zum Glauben an Jesus als den Christus für Menschen, die entweder nach der Legitimität von oder einem Ersatz für den Opferkult im Jerusalemer Tempel suchten oder ihren Glauben in einer Weise ausbuchstabieren mussten, die für eine kultgewöhnte Mehrheitsgesellschaft anschlussfähig war. Im dritten Teil geht es dann um den Glauben in der Tradition der hebräischen Bibel:

Gottvertrauen aber ist: Grundlage dessen, was Menschen hoffen, und Beweis von Dingen, die Menschen nicht sehen. Denn für dieses Gottvertrauen wurden die Alten gerühmt. [...] Im Vertrauen auf Gott ging Abraham folgsam in ein Land, das er erben sollte, und brach auf, ohne zu wissen, wohin er käme. Durch sein Gottvertrauen siedelte er sich im versprochenen Land an und wohnte wie in der Fremde in Zelten mit Isaak und Jakob, die wie er Erben des Versprechens waren. Abraham erwartete eine gut befestigte Stadt, von Gott gebaut und errichtet. Durch ihr Gottvertrauen konnte selbst die unfruchtbare Sara trotz ihres Alters Nachkommen zeugen, weil sie die Lebendige für zuverlässig hielt, die es versprochen hat. Darum stammen auch alle Menschen von einem einzigen Menschen ab, der in Bezug auf die Zeugungsfähigkeit schon tot war, unzählbar wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Ufer des Meeres. Diese alle sind im Vertrauen auf Gott gestorben und haben das von Gott Versprochene nicht erhalten, sondern haben es nur von ferne gesehen, gegrüßt und bekannt, dass sie Fremde und Asylantinnen auf der Erde sind. Die so reden, zeigen an, dass sie eine Heimat suchen. Wenn sie das Land im Sinn gehabt hätten, aus dem sie weggegangen sind, so hätten sie Zeit gehabt, zurückzukehren. Aber sie streben nach einer besseren, himmlischen Heimat. Darum schämt sich Gott ihrer nicht; sie schämt sich nicht, ihr Gott genannt zu werden. Gott hat ihnen eine Stadt bereitgestellt.
Im Vertrauen auf Gott hat Abraham den Isaak zur Opferung dargeboten, als er auf die Probe gestellt wurde. Er brachte den einzigen Sohn dar, der folgendes Versprechen bekommen hatte, indem zu ihm gesagt wurde: »Durch Isaak werden dir Nachkommen berufen werden.« Abraham dachte, dass Gott Menschen auch von den Toten auferwecken kann. Deshalb hat er auch Isaak zur Veranschaulichung der Auferweckung zurückbekommen.

(Brief an die Hebräer*innen, Kapitel 11, Verse 1-2 und 8-19)

Wer ist ein Vorbild im Glauben? Obzwar hier viele Frauen der Erzeltern-Erzählungen fehlen, Sara wird doch genannt. Dass ihre Schwangerschaft mit dem männlichen Verb "zeugen" beschrieben wird, ruft in Erinnerung, dass die heute auch in der Kirche so populäre Vorstellung von zwei einander gegenüberstehenden Geschlechtern eine sehr neue Idee ist. In der Antike war "Geschlecht" ein Kontinuum, eine Skala, auf der Männlichkeit höher angesiedelt ist als Weiblichkeit und auf der man gemäß gesellschaftlichem Status auf- oder absteigen konnte. Sara stieg durch ihren Glauben auf - und, Achtung, kleiner Exkurs: Jesus verlor am Kreuz für die Öffentlichkeit seine soziale Männlichkeit. Das war integraler Bestandteil dieser Hinrichtungsart, von der Christ*innen sagen, er habe sich ihr ohne Gegenwehr ausliefern lassen. Es ist deswegen eine geradezu groteske Verkehrung seines Andenkens, den Eucharistievorsitz an Männlichkeit zu koppeln. 

Sara konnte also Nachkommen zeugen, im Glauben an Gott-die-Lebendige. Und Abraham war bereit, diesen zu opfern. Hier klingt das Thema der Sohnesopferung an, mit dem der Hebräer*innenbrief auch Leben und Sterben Jesu ausdeutet. Das Bild ist wirkmächtig für Adressat*innen, die selber gedemütigt, ausgebeutet und mit dem Tod bedroht sind. In dem Moment, wo die Gemeinde, die sich in diesem Bild wiederfindet, aber in eine herrschende Position rückt, die Gesellschaft und die symbolische Ordnung prägt und selbst disziplinierende Gewalt ausübt, in dem Moment droht die Verkehrung dieses Bildes. Aus dem zwar schwierigen, aber doch befreienden Bild der solidarischen Gottheit wird das Herrschaftsbild eines zornigen, gewalttätigen, erbarmungslosen Gottes, das nicht nur die Seelen derer, die damit in Berührung kommen, verdunkelt und von Gott entfremdet, sondern auch männliche Gewalt gegenüber Schwächeren und gegenüber Frauen rechtfertigt, stützt und ermutigt. Zudem ist das Motiv der Sohnesopferung nicht nur aus humanitären, sondern auch aus feministischen Gründen zu kritisieren, denn in diesem Denkrahmen hat "Weiblichkeit [...] keinen symbolischen Platz in der Erlösung." Mir scheint, dass es kein Zufall ist, dass bei diesen Opfervorstellungen keine weiblichen Bilder verwendet werden, bei allem Bewusstsein für die Gefahr geschlechtsstereotyper Vorstellungen und Zuschreibungen. Ein weibliches, nichtpatriarchales Gottesbild ist eine unbedingt notwendige Korrektur, damit das Bild der befreienden Gottheit nicht durch die Kopplung an Patriarchat und ungerechte Gewaltherrschaft bis zur Unkenntlichkeit verzerrt wird.

Der Brief an die Hebräer*innen kann heutige Leser*innen darin bestärken, auch an biblische Texte kritisch heranzugehen, sich nicht jede Aussage dieser Texte anzueignen und nicht alle ihre Inhalte eins zu eins für legitim zu halten und damit unterdrückende Strukturen fortzuschreiben. Ein Glaube in Freiheit braucht den Mut, auch biblische Schriften zu kritisieren und den Widerspruch nicht zu scheuen. Gottvertrauen aber ist: Grundlage dessen, was Menschen hoffen, und der Eintritt in die befreiende Wirklichkeit Gottes, in einer langen Reihe von Menschen, die vor uns gekommen sind und nach uns kommen werden, und die das Wort lebendig halten: Ich werde mit euch sein.

1Ulrike Wagener, Der Brief an die HebräerInnen. Fremde in der Welt, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hrsg.), Kompendium feministische Bibelauslegung, Gütersloh 21999, 683-693, hier 689.

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