Der Zweifel sei der "gefährlichste Feind des Glaubens und der Liebe", so schreibt es - wie immer anonym - der "Schott" in seiner Einleitung zu den liturgischen Texten für den zweiten Sonntag der Osterzeit. Der Zweifel sei "die bohrende Frage, ob nicht alles nur Betrug und Selbsttäuschung war." Und beikommen könne man dem Zweifel nicht über "Gründe und Beweise [...] [denn] sie werden ja ebenfalls in den Zweifel hineingezogen. Helfen kann nur eine alles verändernde Erfahrung: die Offenbarung der Wahrheit selbst oder die spontane Mitteilung der Liebe." Soweit der Schott - eine subjektive Einschätzung neben anderen, die aber nicht einer Person und einer Entstehungszeit zuzuordnen ist, sondern dadurch Allgemeingültigkeit beansprucht. Aber was ist die "Offenbarung der Wahrheit selbst" und wer glaubt, das bewerten zu können? Und ist das nicht ein wenig zu plakativ geraten mit der Gegenüberstellung des Glaubens und des Zweifels?
Ich glaube, der Zweifel kommt hier unverdient schlecht weg. Ich habe eher Bedenken, wenn Menschen einzeln oder gar in Gruppen gar keine Zweifel mehr haben. Wer so gar keine Zweifel hat, hat oft auch nur wenig Skrupel oder zumindest wenig Empathie für alle, die andere Perspektiven auf die Welt haben.
Das hat übrigens auch etwas mit G*ttesbildern zu tun: Ein gewisser Zweifel, eine gesunde Skepsis der eigenen Erkenntnisfähigkeit gegenüber sind, glaube ich, nötig, um eigene G*ttesbilder nicht absolut zu setzen und mit der Wirklichkeit G*ttes selbst zu verwechseln. Die Vehemenz zum Beispiel, mit der das Vater-Bild für G*tt herangezogen wird und gegen andere G*ttesbilder ins Feld geführt wird, die ist auch eine Frucht des Nicht-Zweifelns: "Es heißt aber doch Vater unser und nicht Mutter unser!" Wenn G*ttesbilder aber nicht mehr als begrenzte Bilder erkannt werden, dann werden sie zu Götzen. Das gilt für Sprachbilder genau wie für Gefühlsbilder, beziehungsorientierte, familiale, funktionale oder abstrakte Bilder. Religiöse Toleranz ist eine Frucht der Skepsis der eigenen Überzeugung und Erkenntnisfähigkeit gegenüber, denn sie weiß, dass wir jeweils nur ein Stückchen Himmel sehen.
Aber es gibt wohl verschiedene Arten des Zweifels und des Zweifelns. Es macht ja einen Unterschied, ob man sich grundsätzlich gut verwurzelt fühlt, sicher und geborgen in dem, was man glaubt von Gott und der Welt, und darüber doch noch weiß, dass man nur ein Stückchen Himmel sieht, oder ob der Zweifel jede Geborgenheit in dieser Welt, jedes Zutrauen zernagt - Zweifel an sich selbst, Zweifel daran, geliebt und wertvoll zu sein, Zweifel und Verzweifeln am Sinn in erlebter Sinnlosigkeit. Der Zweifel aber macht Platz dafür, dass es auch anders sein könnte, und so lässt sich wohl auch mit einem nagenden Zweifel leben: Dafür muss der Zweifel aber anerkannt werden, nicht weggedrückt. Er kann sogar zum Leben helfen, wenn er diesen Rahmen bekommt: Es könnte auch anders sein. Auch der eigene Glaubenssatz, minderwertig und ungeliebt zu sein, darf bezweifelt werden.
Wirklich tiefdunkel wird es, wenn es in einem Menschen gar keinen Zweifel mehr gibt, dass die innere, erlebte Finsternis alles und endgültig ist, dass es aus ihr keinen Weg hinaus geben wird, keine Perspektive, keinen Trost. Und es ist entsetzlich, wie machtlos dann alle anderen Menschen sind, wenn nichts mehr hineinreicht in diese innere Finsternis, in die auch kein Zweifel mehr hineinflackert. Denn die Rückseite des Zweifels ist wohl die Hoffnung, nicht der Glaube.
Diese letzte Dunkelheit G*tt hinzuhalten und für alle zu beten, die so an sich, an der Welt, am Leben, an G*tt verzweifelt sind, das wäre eine gute Fürbitte für diesen zweiten Sonntag der Osterzeit. Für unsere Menschengeschwister, die keinen Ausweg mehr gesehen haben als den Suizid. Und für die, die dann mit so viel offenen Enden zurückgeblieben sind.
Beitrag von 2021: Ein Segen für den Zweifel
Beitrag von 2022: Zum Evangelium des 2. Sonntags der Osterzeit