Die biblischen Schriften und besonders das Johannesevangelium sind keine rohen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, aus denen sich kirchliche Eindeutigkeits- und Unfehlbarkeitsansprüche ableiten lassen. Hier gibt es keine Handlungsanweisung für ein einfaches soziales Gefüge, die heute einfach ein zu eins übernommen werden könnten.
So ist es auch beim Evangelium des 2. Ostersonntags, landläufig mit "Geistgabe" und "Thomas dem Zweifler" betitelt. Von heute aus wird bisweilen hineingelesen: Es seien exakt die zu "den Zwölf" zusammengerufenen Jünger anwesend gewesen - dass "Jünger/Jüngerinnen", "Apostel" und "die Zwölf" verschiedene Gruppen mit Überschneidungen sind, verliert sich auch häufig in den Überlieferungsketten, in denen wir diese Geschichten erzählen - und diese Jünger hätten den Geist erhalten, mit dem sie Sünden vergeben könnten, was dann heute mit der priesterlichen Spendung des Sakraments der Versöhnung gleichgesetzt wird.
Die biblischen Schriften und besonders das Johannesevangelium sind aber eben keine rohen Schwarz-Weiß-Zeichnungen, sondern bunte, oftmals verwischte, übermalte, weitergemalte, vielfältige Bilder. Und mit zarten Strichen wird dort diese Episode erzählt: Wie der Auferstandene in die Mitte der Jünger*innen getreten sei, sie angehaucht habe, und dieses mit dem Wort "empfangt die heilige Geistkraft" gedeutet habe. Es ist dieselbe Geistkraft, die im Anfang über den Wassern wehte und die in der zweiten Schöpfungserzählung den Erdling lebendig macht: Denn wer Gottes rettender Macht durch die Erfahrung der Todesverzweiflung hindurch vertraut, hat Teil an einer neuen Schöpfung, in der Gottferne und Todesangst überwunden sind, hat Teil an der Erfahrung der alles umfassenden Treue Gottes auch über Gottes abgründiges Schweigen hinweg.
Und weiter habe der Auferstandene dies für sie gedeutet: Wen ihr aus der Sündenverstrickung herausholt – weil ihr sie oder ihn in Kontakt mit dem Osterglauben bringt –, die oder der wird daraus erlöst. Wen Ihr außen vor lasst, der oder die bleibt im Bereich der Sünde und des Todes, denn diese beiden sind für Johannes deckungsgleich. Und zum bunten Bild des Johannesevangeliums gehört auch, dass Sündenvergebung immer Gottes Sache ist und Taufe, Geistempfang und Sündenvergebung drei Gestalten der einen Erfahrung des Gerettetseins sind, des Gerettetseins aus Gottferne und Todesangst.
Hier einen moralisierenden Sündenbegriff hineinzulesen, mit dem eine Institution ein Machtinstrument über die Gewissen ihrer Mitglieder bekommt, ist zwar möglich, aber irreführend. Denn wenn Taufe, Geistempfang und Sündenvergebung ineinander fallen - und das tun sie im Johannesevangelium -, dann ist die Kehrseite davon, dass die Gemeinde sich von ihrer Umwelt nicht abkapseln darf. Denn wenn die Freundinnen und Freunde des Auferstandenen sich aus der Gesellschaft ausgliedern, wenn sie ihre eigenen abgeschlossenen Bereiche bilden und die Erfahrung des Gerettetseins für sich behalten, wenn sie diese Erfahrung nicht allen ermöglichen, sondern an Bedingungen knüpfen, von der Befolgung einer bestimmten (zumeist patriarchalen) gesellschaftlichen Moral abhängig machen, als Leistung verstehen, die nicht jede*r erbringen kann,... dann nehmen sie in Kauf, dass diese vielen anderen im Bereich der Sünde und des Todes verbleiben.
Natürlich sollen die Freundinnen und Freunde des Auferstandenen jetzt nicht um jeden Preis Menschen zwangsmissionieren. Sie dürfen aus dieser intimen, berührenden Erfahrung leben und genauso behutsam andere Menschen an dieser Erfahrung teilhaben lassen. Das sollen sie sogar: Es geht nicht darum, vor Gott jemand besonderes, besser als die anderen zu sein, sondern sich von einer Erfahrung der Verbundenheit ergreifen zu lassen, in der diese Konkurrenz einfach nicht mehr wichtig ist.
Zarte, bunte, vielschichtige Bilder gehen im Lauf der Zeit oft unter, werden dunkler, gröber, von Glaubenskämpfer*innen übermalt... aber man kann sie wieder freilegen und an ihnen weitermalen: Empfangt die heilige Geistkraft.