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2. Sonntag im Jahreskreis B // Zur 2. Lesung

Datum:
Fr. 15. Jan. 2021
Von:
Annette Jantzen

Gott gibt Speise für den Bauch, und der Bauch braucht die Speise. Gott nimmt beides zurück. Anders die verantwortungslose Sexualität. Der  Körper gehört Gott, und Gott gehört zu dem Körper. Gott hat ja den Befreier aufgeweckt und weckt uns durch göttliche Macht. Wisst ihr nicht, dass eure Körper Glieder Christi sind? Soll ich das, was zu Christus gehört, nehmen und es für verantwortungslosen Sex missbrauchen? Doch bestimmt nicht! Oder wisst ihr nicht, dass auch verantwortungsloser Sex bedeutet, zu einem Körper zu verschmelzen? Denn die zwei – so sagt die Schrift – werden zu einem Körper. Wer aber mit dem Befreier verschmilzt, teilt Geistkraft mit ihm.
Meidet die ungerechten sexuellen Beziehungen. Jede Sünde, die ein Mensch begeht, geschieht außerhalb des Körpers. Wer aber verantwortungslose Sexualität praktiziert, sündigt gegen den eigenen Körper. Oder wisst ihr nicht, dass euer Körper ein Tempel der heiligen Geistkraft ist, die in euch ist und die ihr von Gott erhalten habt? Ihr gehört euch nicht selbst. Ihr seid von Gott gekauft worden. Darum: Lobt Gott mit eurem Körper.

1. Brief an die Gemeinde in Korinth 6, 13-20

Paulus verhandelt in seinem Brief an die Christinnen und Christen in Korinth die Themenfelder Sexualität und Heiligkeit und darin das Problem der "Porneia": Oft und auch in der Einheitsübersetzung weiterhin mit "Unzucht" übersetzt, wird der Begriff von der "Bibel in gerechter Sprache" mit "veranwortungslose Sexualität" übertragen. Diese neue Übertragung ist umso erhellender, als  der moralisch sehr stark wertende Begriff "Unzucht" vom katholischen Katechismus weiterhin für jede uneheliche sexuelle Beziehung genutzt wird. Auch Paulus geht es um illegitime sexuelle Beziehungen, allerdings nicht in moralischer Hinsicht, sondern vor dem Hintergrund der Reinheit und damit auch Heiligkeit der Gemeinde. Paulus argumentiert hier vor dem Hintergrund der damaligen jüdischen Auslegung der Tora. Sie prägt die jüdische Sexualethik, die in Paulus' Augen auch für die heidenchristlichen Mitglieder der Gemeinde gelten soll.

Die Gemeindemitglieder als Einzelne und die Gemeinde als Ganze ist durch die Christusbeziehung geheiligt, und das ist nicht nur eine geistliche Angelegenheit, sondern erstreckt sich auch  auf die Körper der Beteiligten. Die Enthaltsamkeit, die ebenfalls ein wichtiges Thema in diesen Überlegungen ist, bedeutet dabei nicht, dass sexuelle Beziehungen in der Ehe minderwertig seien, sondern wird in erster Linie als Befreiung vom Machtgefälle in einer patriarchalen Ehe verstanden, also auch passender mit "Ehefreiheit" übertragen. Die befreiende Christusbeziehung wertet die Sexualität der Gemeindemitglieder auf, nicht ab.

In einer bestehenden Ehe, in der nicht beide zur christlichen Gemeinde gehören, wird der nicht-christusgläubige Part durch das Gemeindemitglied geheiligt. Anders ist es bei illegitimen sexuellen Beziehungen: Hier wird die Heiligkeit der Gemeinde gefährdet, weil der mit Christus verbundene Köper befleckt wird. Hier geht es nicht um uneheliche Beziehungen, und auch nicht um Ehebruch - ein Mann kann in dieser Betrachtungsweise seine eigene Ehe gar nicht brechen, sondern nur die eines anderen Mannes -, sondern sehr klar um Männer, die Geschlechtsverkehr mit Prostituierten haben.

Wir sind es gewohnt, sexualethische Fragen moralisch zu betrachten. Das tut Paulus hier nicht. Sonst wäre es geradezu schockierend, dass er bei ausbeuterischer Sexualität von einer Sünde gegen den eigenen Körper spricht, weil selbstverständlich die Geschädigten bei ausbeuterischen sexuellen Beziehungen die Ausgebeuteten sind, nicht die Körper der Täter. Prostitution ist heute in Deutschland in weiten Teilen eine mehr oder weniger unfreiwillige Angelegenheit. Menschen, die Prostituierte ausbeuten, werden an ihnen schuldig. Das gilt nicht nur für Zuhälter und andere Profiteure, sondern auch für die Freier.

Noch eindeutiger ist es bei Prostitution in der Antike. Damals waren Prostituierte fast immer Sklavinnen und Sklaven, die überhaupt keine Wahl hatten, ob sie sich prostituieren wollten oder nicht. Es ist fast sicher anzunehmen, dass auch sexuell ausgebeutete Sklavinnen zur christlichen Gemeinde gehörten. und ihnen gegenüber ist Paulus hier bemerkenswert unempathisch. Hier zeigt sich eine männerzentrierte Blickrichtung, die heute nicht mehr akzeptabel ist.

Dieser Text ist ohne den Kontext der auf der Tora beruhenden antiken jüdischen Sexualethik nicht verständlich und darf nicht eins zu eins in heutige Sexualmoral übernommen werden. Denn sobald es um Moral statt um Reinheit geht, ist nicht nur die Ignoranz gegenüber den Geschädigten ein Problem, sondern auch die Würdigung des Geschlechtsverkehrs unter diesen Bedingungen. Eine solche Würdigung "sie werden ein Fleisch" ist nur schlüssig, wenn bei diesem Geschlechtsverkehr die in die Körper eingeschriebene Heiligkeit der Gemeinde gefährdet wird. Außerhalb dieser Betrachtungsweise muss gelten, dass ausbeuterische Sexualkontakte nichts mit erfüllter Sexualität als Gottesgabe zu tun haben. Hier kommt auch eine erhellende Übertragung des antiken Textes an ihre Grenzen.

Die Gemeindemitglieder in Korinth stellten sich dem Anspruch eines Lebens im Lichte der Auferweckung Jesu und diskutierten diesen Anspruch mit Paulus. Um diesen Text heute zu erschließen, scheint es mir nicht sinnvoll, ihn losgelöst von seinem antiken jüdischen Hintergrund zu lesen und auf heutige nichteheliche Beziehungen anzuwenden. Es wäre fruchtbarer, neu zu schauen, wo Sexualität ausbeuterisch wird, und den Blick auf die Geschädigten dieser Ausbeutung zu richten.

Zum Weiterlesen:
Artikel "Unzucht" im Wissenschaftlichen Bibellexikon
Luise Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth, in: Luise Schottroff/Marie-Theres Wacker (Hrsg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, 2. Aufl. Gütersloh 1999.

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