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2. Sonntag im Jahreskreis C // Zur zweiten Lesung

Datum:
Do. 13. Jan. 2022
Von:
Annette Jantzen

Es gibt Unterschiede in den geschenkten Fähigkeiten, doch sie stammen aus derselben göttlichen Geistkraft. Es gibt Unterschiede in den Arbeitsfeldern, doch der Auftrag dazu kommt von ein und derselben Ewigen. Es gibt Unterschiede in den Fähigkeiten, doch es ist derselbe Gott, der in allen alles in gleicher Weise bewirkt; den Einzelnen offenbart sich die Geistkraft zum Nutzen aller. Der einen wird durch die Geistkraft die Fähigkeit zum Denken und Reden in Weisheit gegeben, einem anderen durch denselben Geist die Fähigkeit, Offenbarungen weiterzugeben. Der nächsten wird Vertrauen gegeben – von derselben Geistkraft –, einem anderen wiederum die Fähigkeit zu heilen – durch die eine Geistkraft –, eine andere erhält die Fähigkeit, Wunder zu tun, der nächste die Gabe zu prophezeien, oder eine andere die Fähigkeit, zu deuten, ob alles tatsächlich durch die Geistkraft bewirkt wird. Andere bekommen die Fähigkeit, eine besondere Sprache Gott gegenüber zu sprechen, und wieder andere können sie deuten. Alles dieses wirkt eine und dieselbe Geistkraft, die sich den Einzelnen mitteilt, so wie sie es will.

(Erster Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 12, Verse 4-11)

Diese Lesung klingt nach einer bunten Gemeinde. Paulus schreibt an diese Gemeinde, die sich zusammensetzt aus wenigen Reichen und vielen Armen und die das Ideal hat, wirklich geschwisterliche Gemeinde zu sein. Priester und andere Ämter gibt es noch nicht, und als konkreten Anlass für diese Passage im Brief war wohl Klärungsbedarf aufgekommen, welche Ausdrücke der Geisterfülltheit am meisten Raum verdienten. Ein Phänomen, das wir heute nur im Raum der charismatischen Bewegungen kennen, nämlich die Zungenrede - die "Bibel in gerechter Sprache" übersetzt hier mit "eine besondere Sprache Gott gegenüber" - scheint dabei eine große Rolle gespielt zu haben: Was ist mit Gemeindemitgliedern, die nicht in dieser Art enthusiastisch entrückt werden? Wenn die Versammlungen chaotisch werden, ist es dann noch ein Gottesdienst, der alle verbindet? Was ist mit Fähigkeiten, die unscheinbarer daherkommen? 

Paulus antwortet auf diese Fragen, die ihm aus der Gemeinde gestellt werden. Und er ordnet dabei ein: Alle Fähigkeiten, die die jesusgläubigen Menschen mitbringen, sind gleichwertig, alles kann zum Guten dienen, es gibt dabei keine Höher- oder Minderwertigkeit. Heilen ist genauso wichtig wie Zungenreden, die Schrift erklären zu können genauso wichtig wie die Fähigkeit, anderen den Rücken zu stärken. So weit, so gut.

Um zu betonen, dass es wirklich keine Unterschiede darin gibt, verwendet Paulus dabei nur ein paar Pronomen: "Der eine", "ein anderer" "wieder ein anderer". So wie "alle" gemeint sind, wenn da "jeder" steht, so sind auch "alle möglichen einzelnen" gemeint, wenn da "ein anderer" steht. Die männliche Form "ein anderer" ist eine Sammelform, mit der sowohl weibliche als auch männliche einzelne Menschen gemeint sein können, so jedenfalls die Theorie und der allgemeine Sprachgebrauch. Und genauso wie im Deutschen heute (*) funktioniert das auch in diesem altgriechischen Text nicht, wenn die Realitäten sich so ändern, dass Gleichheit und Gleichberechtigung nicht mehr selbstverständlich sind.  

Die Sprache hat ihre eigene Schwerkraft. Wer die wortgetreue Übersetzung dieser Lesung hört, wie sie wohl in den meisten Gottesdiensten vorgetragen wird, hört denn auch eine lange Aufzählung männlicher Formen:

Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen,
dem anderen durch denselben Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln,
einem anderen in demselben Geist Glaubenskraft,
einem anderen – immer in dem einen Geist – die Gabe, Krankheiten zu heilen,
einem anderen Kräfte, Machttaten zu wirken,
einem anderen prophetisches Reden,
einem anderen die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden,
wieder einem anderen verschiedene Arten von Zungenrede,
einem anderen schließlich die Gabe, sie zu übersetzen.
Das alles bewirkt ein und derselbe Geist; einem jeden teilt er seine besondere Gabe zu,
wie er will.

Nach der Theorie des generischen Maskulinum wäre das kein Problem: Wo nicht dezidiert Männer gemeint sind, gilt eine männliche Form sowohl für Männer als auch für Frauen, also "die Radfahrer" meint sowohl Männer als auch Frauen, die Rad fahren, das ist heute im Deutschen so und war früher schon im Griechischen so, außer dass es da noch keine Fahrräder gab.  Und in einer idealen geschlechtergerechten Welt wäre das vielleicht auch richtig, auch wenn man fragen kann, ob wohl in einer idealen geschlechtergerechten Welt eine männliche Sprachform bevorzugt werden würde. In so einer Welt leben wir aber nicht, und so eine alle Geschlechter- und sozialen Grenzen hinwegfegende Euphorie gab es auch im sich entwickelnden Christentum nur sehr kurz (**).    

Wenn Paulus schon gegendert hätte, hätte er vielleicht mit Sternchen-Formen geschrieben. Oder er hätte, wie die "Bibel in gerechter Sprache" in ihrer Übertragung unter Berücksichtigung der Empfänger*innen des Briefe,  die Formen abgewechselt: der einem -  einem anderen - wieder einer anderen... Denn der Brief richtet sich ja an eine gemischte Gemeinde, in der es noch keine Ämter gab, zu denen Frauen keinen Zugang hatten. Und auch wenn Paulus bereits patriarchale Ordnungen in die Organisation der Gemeinde bringt - etwa mit der Anweisung, dass Frauen ihr Haar bedecken sollen -, so ist er doch noch weit entfernt davon, Frauen aufgrund des Geschlechts als mögliche Empfängerinnen von Geistesgaben auszuschließen.

Wenn Paulus schon gegendert hätte, dann sähe die katholische Kirche heute wohl anders aus. In der sich entwickelnden Kirche der Antike etablierte sich eine gesellschaftlich akzeptable patriarchale Ordnung. Und der Brief an die so gemischte Gemeinde in Korinth mit seinen männlichen Pronomen wurde und wird seitdem in eine Kirche hinein gelesen, in der Männer exklusive Rollen spielen. Wenn diejenigen, die den Text mit seinen männlichen Pronomen hören, nicht mehr erleben, dass damit Frauen wie Männer genannt sein können, dann kommt irgendwann der Punkt, wo so eine vermeintlich neutrale Sprache dann ungleichwertige Geschlechterrollen stablisisiert, fortschreibt und der Kritik entzieht. Die Kirche bekommt ein einseitig männliches Gesicht, und die Frauen verschwinden in den Strukturen der männlichen Sprachformen. Das ist für die frühe Kirchengeschichte genauso ein Problem wie für die gesellschaftliche Teilhabe heute.

Fazit: Es ist leider immer noch wichtig, daran zu erinnern, dass es hier nicht nur um Männer geht, und auch nicht um einen männlichen Gott mit seinen Geistesgaben.  Es ist - zumindest wenn man den offiziellen Lesungstexten folgt - immer noch Mühe nötig dafür, dass sich Menschen aller Geschlechter aktiv in den Text hineinlesen können, um sich als gemeint zu erfahren und die Schönheit ihrer Geistesgaben zum Leuchten bringen zu können. Das muss sich ändern, damit wir wieder zu einer Erfahrung der Fülle kommen, wie sie die Lesung beschreibt, mit allem Guten, das aus so vielen Gaben werden kann. Feiert eure Begabungen, Schwestern.

 

(*) Eine kompakte Darstellung, warum das "Mitgemeint-sein" nicht funktioniert, findet sich hier: Pinkstinks/Müssen Journalist*innen gendern?

(**) "[Es] ist [...] aufschlussreich, wie Geschlechterfragen in den späteren Schriften des Neuen Testaments behandelt werden. Soziologen beobachten, dass junge revolutionäre Bewegungen deshalb oft Frauen anziehen, weil sie sich gegen das Establishment richten, und dass diese Bewegungen Anhängerinnen und Anhänger suchen, wo immer sie sie finden können. Die Jesusbewegung ist eine solche Bewegung. Auf dem Weg zu einer etablierten Religion geben solche Sekten oft ihre weibliche Anhängerschaft oder wenigstens weibliche Führungsrollen auf, um für das patriarchale Ethos der breiteren Gesellschaft akzeptabel zu werden. Paulus, der der Protagonist einer zweiten Phase des Neuen Testaments (im zweiten Teil der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen) ist, die schon als (frühes) Christentum bezeichnet werden kann und durch eine wachsende Zahl von Nichtjuden gekennzeichnet ist, steht für diesen Ansatz." (Tal Ilan, Geschlecht und Geschlechterrollen, in: Wolfgang Kraus u.a. (Hrsg.), Das Neue Testament jüdisch erklärt, Stuttgart 2021, 657-661, hier 660.)

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