An diesem Sonntag wird in den Lesungen ein Klang hörbar, der durch die ganze Bibel hallt: Gott ist an der Seite der Gefährdeten. Dieser Klang wird hörbar als Prophetie im Buch Jesaja:
Das sind Wohltaten der Gottheit: Sie kommt und wird euch retten.
Dann werden die Augen der Blinden geöffnet
und die Ohren der Tauben aufgetan.
Dann werden die Lahmen wie Hirsche springen und die Zungen der Stummen jubeln.
Ja, in der Wüste brechen die Wasser auf und die Bäche im dürren Gebiet.
Er wird hörbar im Psalm:
Sie schafft den Unterdrückten Recht,
gibt den Hungrigen Brot,
die Heilige lässt die Gefangenen frei.
Die Heilige öffnet die Augen der Blinden,
die Heilige richtet die Gebeugten auf,
die Heilige liebt die, die Gerechten.
Die Heilige bewahrt die Fremden,
Waisen und Witwen richtet sie wieder auf,
aber den Weg der Gewalttätigen macht sie krumm.
Und er wird hörbar in der Geschichte von Zuwendung und Zärtlichkeit, mit der Jesus den Menschen heilt, der stumm war, wie sie im Markusevangelium erzählt wird.
Man kann diese Texte als einen Dreiklang hören. Den Grundton gibt das Buch Jesaja an: Blind, taub, stumm oder lahm zu sein, das bedeutet in der Erfahrung der Hörerinnen und Hörer auch, ausgegrenzt und arm zu sein, angewiesen auf die Unterstützung durch andere. Es bedeutet, gefährdet zu sein. Und Gott ist auf der Seite dieser Gefährdeten. Sie sind gefährdet wie Menschen in der Wüste, die wissen, wie angewiesen sie auf Wasser und Schatten, auf Zusammenhalt und Ortskenntnis sind, denn die Wüste ist ein gefährlicher Ort für alles, was lebt. So gefährlich ist das Leben für die Menschen mit Einschränkungen damals auch, und auch heute oft. Gottes Zuwendung für die Gefährdeten ist so rettend wie das Wasser in der Wüste.
Den Mittelton bildet der Psalm. Er bringt die Spannung ins Spiel. Der mittlere Ton entscheidet, ob ein Dreiklang in Dur oder in Moll klingt, heiter und ganz oder spannungsvoll und getragen. Der Psalm, der den mittleren Ton bildet, er verbindet das Thema der Krankheit, des Blind-, Gebeugt- und Angewiesenseins mit dem Thema der Gerechtigkeit. Blind und gebeugt sein bringt Menschen in existentielle Not, so wie hungrig sein, unterdrückt sein oder zur Gruppe der Witwen und Waisen zu gehören, der Menschen ohne Schutz, Einkommen und Rechtsvertretung. An der Sorge für diese Gruppen, für die, die darauf angewiesen sind, entscheidet sich auch das Verhältnis zu Gott. Wer sie entrechtet, ausbeutet und ihrem Schicksal überlässt, verfehlt den Weg zu Gott - sie sind Gewalttäter, und Gott macht ihnen die Wege krumm, heißt es im Psalm.
Und dann gibt es noch den dritten Ton, den höchsten. Er kommt als letztes hinzu, er braucht die beiden unteren, um voll zu klingen. Das ist die Geschichte, wie Jesus den stummen Menschen heilt. Hier wird ganz handgreiflich erfahrbar, wie Gottes Sorge für die Bedrohten aussieht: Einen geschützten Raum bieten, jemanden wirklich sehen und in eine heilsame Umarmung nehmen, jemandem Kraft geben und in Gemeinschaft aufblühen lassen.
Gott wird in diesen Texten als mächtig beschrieben, mächtig im Retten. Und gleichzeitig sind es eben Hoffnungstexte, die hoffen auf etwas, was in dieser Welt immer wieder fraglich ist. Gibt es wirklich eine tragende Hoffnung für die Entrechteten? Ja, sagen diese Stimmen der Bibel. Gott ist die höchste Instanz. Aber nicht als ein Patriarch, ein männlich-mächtiger Herrscher, der seine Gnade wie Almosen verteilt und dabei akzeptiert, dass es in der menschlichen Ordnung eben immer eine Gruppe gibt, die Almosen braucht. Sondern es ist von Gott her nicht in Ordnung, wenn Menschen ausgegrenzt und unterdrückt werden. Es ist von Gott her nicht in Ordnung, wenn die weniger Leistungsfähigen, die mit den schlechten Startbedingungen, die mit dem falschen Pass weder Recht noch Zukunftschancen haben. Es ist von Gott her nicht in Ordnung, wenn alte Menschen ihre Rente mit Pfandflaschen-Sammeln aufbessern müssen, oder wenn ein Kind zu bekommen für Frauen ein deutliches Armutsrisiko darstellt.
Für sie tritt Gott ein. Am Umgang mit ihnen entscheidet sich, ob der Dreiklang in Dur oder in Moll klingt, oder ob er ganz in Dissonanz endet, schmerzhaft in den Ohren und schwer zu ertragen. Von Gott her gesehen zählen Solidarität und zugewandte Fürsorge. Sie in die Welt zu bringen heißt, Gott in dieser Welt zum Klingen zu bringen.