// Achtung, der folgende Text thematisiert sexuelle Gewalt. //
Ich freue mich, wenn ihr einander in der Christusgemeinschaft mit gutem Rat unterstützt, wenn liebevoller Zuspruch seinen Platz hat, wenn ihr eine geistgewirkte Gemeinschaft seid, wenn Liebe und Erbarmen regieren. Macht meine Freude vollkommen dadurch, dass ihr ganz einig seid, dieselbe Liebe füreinander empfindet, unzertrennlich und auf ein und dasselbe bedacht seid. Tut nichts aus Eigennutz oder hohlem Geltungsstreben, sondern nehmt euch selbst zurück und achtet die anderen höher als euch selbst, indem ihr nicht auf das seht, was euch selbst nutzt, sondern auf die Interessen der anderen. Euer Verhältnis zueinander soll der Gemeinschaft mit Jesus Christus entsprechen.
Über göttliche Gestalt verfügend, hielt Christus die Gottgleichheit doch nicht wie ein glückliches Los fest, sondern entäußerte sich selbst aller Vorrechte und nahm die Gestalt eines versklavten Menschen an, wurde den Menschen gleich und seine ganze Erscheinung zeigte: Er war ein Mensch wie du und ich. Er erniedrigte sich selbst und war dem Auftrag Gottes gehorsam bis zum Tode, dem Sklaventod am Kreuz. Darum hat Gott den Erniedrigten erhöht und ihm den Namen verliehen, der über jeden Namen erhaben ist, damit im Namen Jesu sich alle Knie beugen sollen im Himmel und auf Erden und unter der Erde, und jede Zunge bekennen soll, dass Jesus Christus der Herr ist zur Ehre Gottes, unserer Mutter und unseres Vaters.
(Brief an die Gemeinde in Philippi, Kapitel 2, Verse 1-11)
In der gewohnten Fassung der Einheitsübersetzung ist dieser Text vielen Gottesdienstfeiernden heute noch ziemlich geläufig: "Christus Jesus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich..." Vor drei Jahren habe ich zu dieser Lesung geschrieben, was "Entäußerung" und "wie ein Sklave werden" für die ersten Empfänger*innen dieses Briefes bedeutet haben mag, was für eine revolutionäre Botschaft das für sie gewesen sein mag: Mitglieder der Gemeinde in Philippi, wo rund ein Viertel der Bevölkerung versklavt war. Ein Viertel! Und diese versklavten Menschen, die vermutlich sogar mehr als ein Viertel der Gemeinde ausgemacht haben, waren per Gesetz auch sexuell versklavt. Wenn sie keine Opfer sexueller Ausbeutung wurden, dann war das Glück, oder Gnade ihrer Besitzer*innen, aber kein Recht.
Ich habe vor drei Jahren an die Ausgebeuteten dieser Tage erinnert: die osteuropäischen Prostituierten bei uns - "Freiwilligkeit" ist ein wirklich sehr relativer Begriff -, an die Arbeiter*innen in der Fleischindustrie, an die Geflüchteten, die schwer verletzt an Leib und Seele auf dem Weg nach Europa stranden, oft genug fast in Sichtweite. An dieser Aktualität hat sich nichts geändert.
Beim Wieder-Lesen habe ich trotzdem einen neuen Kloß im Hals. Ich habe mich unterdessen auch mit der sexuellen Gewalt bei Kreuzigungen befasst. Und dann liegt der Gedanke nahe, diese Lesung noch einmal anders zu lesen: Jesus Christus hat sich denen gleich gemacht, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind. Ein Priester, der der Eucharistiefeier vorsteht, und der ein Täter ist, der feiert das Gedächtnis dessen, den er selber gequält hat. Das ist nur noch eine Simulation von Kirche, und das ist dann ein Bruch auch für alle, die sich haben täuschen lassen.
Hierarchie heißt wörtlich: heilige Ordnung. Und "heilig" hat etwas mit "heil" zu tun. Diese Hierarchie ist keine heilige Ordnung mehr. Eine heilsame Ordnung wäre, wenn nie wieder Menschen so misshandelt werden könnten. Wenn diejenigen, die das erlitten haben, auf echte, tätige Reue träfen. Wenn die Erschütterung, die die Veröffentlichungen bedeuten, nicht durch Gewöhnung oder Ignoranz abgefedert würden. Wenn alles beseitigt würde, was diese Taten ermöglicht hat: die Idee, dass Priester heilige Männer wären, die Idee, dass Sexualität sündhaft sei und darum verdrängt werden müsse, und vor allem: die Idee, dass die Ordnung der Kirche eine göttliche Ordnung wäre.
Was ist an dieser Perspektive ein "Gotteswort, weiblich"? Das auf Ausschluss beruhende Amt und die Unantastbarkeit des Priesters haben eine gemeinsame Wurzel,so wie auch die Abwertung und Verdrängung von Sexualität und Frauenhass eine gemeinsame Wurzel haben. Die Unfähigkeit, Diskriminierung wahrzunehmen, entspricht der Unfähigkeit, die Perspektive der Opfer einzunehmen. Das findet nicht auf der gleichen Ebene statt, andere Biographien werden aber mit ähnlicher Selbstverständlichkeit der Kirche und der eigenen Ideologie geopfert.
Darum hat Gott die Erniedrigten erhöht, und Kirche wird nur noch da sein, wo sie nicht wieder erniedrigt werden.