Pharisäerinnen und Pharisäer kamen hinzu und fragten ihn: »Ist es einem Mann erlaubt, seine Frau ziehen zu lassen?« Das wollten sie mit ihm klären. Jesus entgegnete ihnen: »Was hat euch Mose geboten?« Sie sprachen: »Mose hat es gestattet, einen Scheidebrief zu schreiben und sie ziehen zu lassen.« Da sagte Jesus zu ihnen: »Weil eure Herzen so hart sind, schrieb er euch dieses Gebot auf. Am Anfang der Schöpfung aber schuf Gott die Menschen männlich und weiblich. Deshalb wird ein Mensch Mutter und Vater verlassen, wird ein Mann sich mit seiner Frau verbinden und eine Frau sich mit ihrem Mann. Und die zwei werden ein Fleisch sein. Also sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was Gott zum Paar verbunden hat, soll ein Mensch nicht trennen.« Im Blick auf ihre eigene Situation fragten die Jüngerinnen und Jünger wie schon früher weiter nach. Jesus antwortete ihnen: »Wer seine Frau ziehen lässt und heiratet eine andere, der begeht ihr gegenüber Ehebruch. Lässt sie ihren Mann ziehen und heiratet einen anderen, dann begeht sie Ehebruch.«
Leute aus dem Dorf brachten Kinder zu Jesus, damit er sie berühre. Aber die Jüngerinnen und Jünger herrschten sie an. Als Jesus das sah, wurde er wütend und sagte zu ihnen: »Lasst die Kinder zu mir kommen und hindert sie nicht daran, denn sie gehören zu Gottes Reich. Ja, ich sage euch: Nur wer Gottes Reich wie ein Kind aufnimmt, wird dort hineingelangen.« Und er nahm die Kinder in die Arme, segnete sie und legte die Hände auf sie.
Evangelium nach Markus, Kapitel 10, Verse 2-16
Vor drei Jahren habe ich zu diesem Evangelium schon einmal herausgearbeitet, was eigentlich die Absicht Jesu mit dieser Tora-Auslegung war. Ich komme unten darauf zurück. Heute fällt mir umso mehr ins Auge, was mit diesem Text passiert ist: Aus einer Tora-Auslegung, die deutlich gegen die Ausbeutung und Diskriminierung von Frauen sprach, wurde die Grundlage für eine rigide Ehe-Ethik, die diese Parteinahme für Frauen wieder rückgängig machte. Und diese wiederholte und verschärfte Unterdrückung wurde dann auch noch mit Jesu Lehre begründet. Das absolute Ehescheidungsverbot hat so viel Leid über Menschen gebracht, dass die frohe Botschaft daran kaum noch erkennbar ist. Es hat Frauen bei gewalttätigen Ehemännern gefangen gehalten und soziale Ächtung über alle gebracht, die eine unglückliche Beziehung beendet haben - kirchlicherseits ist das immer noch nicht abgeschafft, als gäbe es nicht zahlreiche Ehen, die kein Sakrament der Liebe Gottes mehr sind. Das ist eine geradezu perfide Verdrehung der Aussageabsicht Jesu und bezeugt einmal mehr, wie sehr die frohe Botschaft in Schieflage geraten ist, als das Patriarchat sich in der Kirche eingenistet hat, bis zu dem Punkt, wo es so umfassend wirkt, dass man es gar nicht mehr wegdenken kann: Es ist so allumfassend und unsichtbar wie das Wasser für den Fisch im Aquarium. "Katholisch" heißt eben wirklich "allumfassend".
Jetzt aber zum Text, der eines der anstößigsten und bekanntesten Jesusworte enthält: "Was Gott verbunden hat, soll ein Mensch nicht trennen." Es ist radikal, so wie auch das Verbot, einen Eid zu schwören, oder das Verbot, sich "Vater" nennen zu lassen. Beides ist trotzdem katholische Praxis geworden, Eide zu schwören ist sogar kirchliche Vorgabe als Bedingung für die Übernahme von Ämtern. Man kann sich aber nicht nur durch das Ignorieren von Jesu Anspruch von seiner Lehre entfernen, sondern auch durch Übererfüllung. So ist es beim Ehescheidungsverbot geschehen.
Denn: Wenn es nur um die Beantwortung der Frage "Erlaubnis zur Ehescheidung - ja oder nein?" gegangen wäre, woher kommt dann der merkwürdige Hinweis auf die Hartherzigkeit? Er wird verständlich mit Blick auf die damalige Rechtspraxis. Ein Mann konnte seine Frau aus der Ehe entlassen - weil sie ihm nicht mehr gefiel, weil er eine zweite Ehe eingehen wollte, aber zwei Frauen nicht gleichzeitig unterhalten konnte, weil sie ihm keinen Sohn geboren hatte... -, eine Frau konnte das aber umgekehrt nicht. Die Folge für die Frau, die aus der Ehe entlassen worden war, war soziale Rechtlosigkeit und finanzielle Not.
Jesus widerspricht dieser Praxis. Er bleibt bei seiner Antwort nämlich nicht bei der ursprünglichen Frage, sondern geht weit über sie hinaus. Die Frage nach der Ehescheidung war eine bekannte Streitfrage der Tora-Auslegung, deswegen wurde sie ja Gegenstand des Lehrgesprächs. Wenn Jesus nun einfach nur die Tora-Auslegung "Nein, Ehescheidung ist nicht erlaubt" bestätigt hätte, wäre das zwar radikal, aber nicht so unerhört gewesen. Das Unerhörte ist Jesu Aussage, dass ein Mann, der sich von seiner Frau scheiden lässt, seine Ehe bricht - und bei einer Frau umgekehrt genauso. Dass eine Frau ihren Mann entlassen könnte, war in der Rechtspraxis absolut nicht vorgesehen, ebenso wenig konnte ein Mann seine eigene Ehe brechen: Wenn er eine Beziehung zu einer anderweitig verheirateten Frau einging, war das ein Bruch der Ehe des anderen Mannes! Umgekehrt aber brach eine Frau, die eine andere Beziehung einging, die Ehe ihres eigenen Mannes. Ein Mann war also doppelt geschützt und bevorteilt, eine Frau aber lediglich Objekt in der Ehe ihres Mannes. An genau diesem Punkt setzt Jesus an und korrigiert diese Schieflage.
Jesu Lehre ist ein Eintreten für die Rechte von Frauen, die nicht einfach ins soziale Nichts fallen gelassen werden dürfen. Indem Jesus das einfach, als wäre es das normalste von der Welt, in einem Atemzug sagt: "Ein Mann darf seine Frau nicht entlassen und eine Frau nicht ihren Mann, wenn sie das tun und jemand anderes heiraten, brechen sie ihre erste Ehe" ist das eine total innovative Fiktion. Jesus stellt damit eine soziale Utopie als Realität dar, nämlich dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind. Und er beantwortet von dieser Utopie her die Frage, die zu stellen damals niemandem eingefallen wäre: Darf eine Frau ihren Mann aus der Ehe entlassen? Das ist unglaublich phantasievoll, klug und entlarvend.
Und: Das ist ein Plädoyer für Frauenrechte! Kein Wunder, dass die Jüngerinnen und Jünger noch einmal nachfragen. Und als Antwort stellt ihnen Jesus eine andere Möglichkeit vor Augen, wie Menschen miteinander sein können: Gottverbunden und ohne einen anderen Menschen abzuwerten. Jesus lehnt es offensichtlich ab, dass Frauen im Ehekonstrukt ausgebeutet werden und rechtlich gefährdet sind. So sollen Menschen nicht zusammenleben. Eine Frau soll nicht einfach zurückgegeben werden können. Kein Wunder, dass eine Kirche, in der patriarchale Macht die gesamte Struktur prägt, diese Dimension von Jesu Lehre schon früh nicht mehr sehen konnte.
Dass aus diesem Wort ein Unterdrückungsinstrument geworden ist, das Menschen in unglücklichen Beziehungen einsperrt, als wäre das Zusammenbleiben ein Wert an sich, auch dann, wenn darin keine Liebe mehr ist, das ist unglaublich tragisch. Von Jesus her sollte eine Ehe so nicht laufen. Und mit seiner Auslegung, dass Frauen und Männer ganz selbstverständlich gleichberechtigt sind, legt er den Grundstein für glücklichere Beziehungen. Als Vorbild nimmt Jesus die Kinder: Wie sie unbefangen und frei, gutgläubig und vertrauensvoll miteinander umzugehen, das wäre das Ziel.
Zum Schluss noch zwei kurze Hinweise zur ersten Lesung und zur Zusammenstellung der Sonntagstexte:
Unglücklicherweise ist die Einheitsübersetzung bei der Erzählung, wie Gott aus dem Erdling einen zweiten Menschen schuf, so dass daraus eine Frau und ein Mann wurden, bei der irreführenden Übersetzung "Rippe" geblieben. Das hebräische Wort an dieser Stelle ist aber eigentlich ein architektonischer Ausdruck für einen Stützpfeiler, am besten mit "Seite" zu übersetzen. Gott teilt also den Erdling auf in zwei Menschen und nimmt nicht ein entbehrliches kleines Körperteils des Erdlings oder gar eine "Rippe des Mannes". Beides steht nicht im Text, der viel zu klug ist, um so platt frauenfeindlich zu erzählen. So klug sind die Zusammensteller der Leseordnung leider nicht gewesen, denn sie fanden es eine gute Idee, als inhaltlich passenden Psalm den Psalm 128 vorzusehen: "Deine Frau ist wie ein fruchtbarer Weinstock im Innern deines Hauses" und zeigen damit, dass sie genau die männerzentrierte Sichtweise pflegen, die Jesus kritisiert. Wie viel schöner und menschenfreundlicher wäre es, das Evangelium beispielsweise mit Psalm 8 zusammenklingen zu lassen: "Mit Würde und Glanz krönst du die Menschen..."