Dann wird die Heilige der Heere für alle Völker auf diesem Berg ein Gastmahl mit fetten Speisen bereiten, ein Gastmahl mit altem Wein, fett und gut gewürzt, mit altem, gereinigtem Wein.
Die Heilige wird auf diesem Berg den sichtbaren Schleier vernichten: den Schleier, der über allen Völkern liegt, die Decke, die alle Nationen bedeckt. Die Heilige hat den Tod dauerhaft vernichtet. Die Herrschaft, die Ewige, wird die Tränen von allen Gesichtern abwischen, die Schmach ihres Volkes wird sie von der ganzen Erde wegnehmen, denn die Heilige hat gesprochen.
An jenem Tag werden die Leute sagen: Schau doch, dies ist unsere Gottheit. Wir hoffen, dass sie uns befreit. Das ist die Heilige , unsere Hoffnung. Wir wollen jubeln und uns freuen, wenn Gott hilft.
Die Hand der Heiligen wird auf diesem Berg ruhen, und Moab wird unter ihr zerdrückt, wie ein Strohbund in Jauchewasser eingedrückt wird.
(Buch Jesaja, Kapitel 25, Verse 6-10)
Ich habe überlegt, zum ersten Mal die Leseordnung zu verlassen und zu raten, die Sonntagslesung auszutauschen. Statt der Vision von Frieden und Trost aus dem Buch Jesaja von der Trauer zu lesen, beim Propheten Jeremia: "In Rama ist Wehklagen und bitteres Weinen zu hören. Rahel weint um ihre Kinder, sie will sich nicht trösten lassen wegen ihrer Kinder, denn keines ist mehr da." (Jer 31,15) Die Heilige Israels, die Gottheit Jesu, sie weint über alle ihre Kinder, und die Trauer scheint endlos wie die Gewalt auch.
Dagegen steht die Vision dieser Lesung. Sie steht, obwohl so viele nicht mehr da sind. So viele Tote, so viele verheerte Leben. Und so viele, wo sich die Frage aufdrängt, ob der Tod nicht das leichtere Schicksal gewesen wäre.
Kriegsgewalt trifft Frauen anders als Männer. Schon in normalen Zeiten, unter normalen Umständen erleidet eine von fünf Frauen in ihrem Leben massive sexuelle Gewalt und eine von drei sexuelle Übergriffigkeit, eines von zehn Kindern unter zwölf Jahren wird sexuell misshandelt. Das ist die Quantität des normalen Lebens. Und jetzt hören wir die Texte der hebräischen Bibel und wissen dabei, dass aus dem Süden Israels beim brutalen Überfall der Hamas am vergangenen Schabbat, am Fest der Freude der Tora, vor allem Frauen und Kinder, über hundert, als Geiseln der Hamas entführt wurden. Es braucht nicht besonders viel Phantasie, um sich vorzustellen, was das bedeutet. Die Bilder der Vermissten werden die Vorher-Fotos sein, wenn es denn noch ein Nachher für sie geben wird.
Sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder nichtet die Opfer direkt und sie trifft ihr Umfeld, denn sie ist dazu da, den Feind zu demütigen, und verdinglicht ihre Opfer dadurch doppelt, um auch den Feind doppelt zu treffen.
Der massive Gewaltausbruch der Hamas ausschließlich gegen die israelische Zivilbevölkerung ist Terror, der sich massiver sexueller Gewalt bedient. Hinter dieser Gewalt steht patriarchale Gewalt, genau wie hinter islamophober und nationalistischer Gewalt auch. Menschen handeln, als sei diese Gesellschaftsordnung normal und als sei Krieg eben unvermeidlich. Aber niemand verdient es, unter systemischer Gewalt zu leiden, die doppelt unterdrückte palästinensische Zivilbevölkerung nicht, die israelischer Repression ausgesetzt ist und zugleich als Faustpfand im Kampf der Hamas gegen die Autonomiebehörde und gegen Friedensbemühungen dient, und die Bürger*innen Israels verdienen das auch nicht.
Die Vision von der Vergeschwisterlichung lässt auf eine Welt hoffen, in der die Gewalt nicht das letzte Wort behält. In der Trost möglich ist, auch wenn die Toten tot und die Verstümmelten verstümmelt bleiben, auch wenn der erlittene Schrecken nur langsam an Macht verlieren wird und das Leben so vieler Menschen in Scherben, in Schutt und in Asche liegt. Die Vision der Vergeschwisterlichung spricht davon, dass Weiterleben möglich ist. Dass das Leben stärker ist als die Gewalt.
Ich wünsche es allen, die namenlosen Schrecken derzeit durchleiden, so sehr, und mein Herz weint und will nicht akzeptieren, dass die Gewalt das letzte Wort behalten soll, diese Decke, die alle Nationen bedeckt. Die Gewalt ist das, was der prophetische Text auf das damals um Land konkurrierende Moab projiziert, sie soll von der Hand Gottes vernichtet werden, und es ist ein Paradoxon, dass das in sich wieder ein gewalttätiges Bild ist. Vielleicht ist das so, weil nicht alles nebeneinander bestehen kann, nicht alles verstanden, nicht alles toleriert werden kann. Es gibt ein Böses, das bei Gott keinen Bestand haben wird.
Ich bete, dass für alle, die unter Gewalt leiden, darin eine Hoffnung trotz allem liegt.