Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten, schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth:
Es gibt jüdische Menschen, die Zeichen Gottes erwarten, und griechische Menschen, die Weisheit suchen; und wir verkündigen den gekreuzigten Messias. Manche jüdische Menschen halten das für gefährlich, manche aus den Völkern für unvernünftig. Denen, die von Gott gerufen werden, ob jüdisch oder nichtjüdisch, verkörpert der Messias göttliche Macht und göttliche Weisheit. Denn das Unkluge, das zu Gott gehört, ist weiser, als die Menschen es sind; und das Schwache, das zu Gott gehört, ist stärker, als die Menschen es sind.
(Erster Brief des Paulus an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 1, Verse 22-25)
Vor drei Jahren habe ich dazu geschrieben, wie die Kreuzigung eben auch gemeint war: als Entwürdigung, als Zeichen der Ehrlosigkeit, als Verlust von allem, was auch soziales Leben ausmacht. Es war ein Verlust nicht zuletzt der Männlichkeit, wenn die Kreuzigung Männern angetan wurde; aber auch Frauen konnten so hingerichtet werden. Es gibt nichts, was Menschen einander nicht antun könnten.
Jesus war diesem Tod und damit auch dem Verlust seiner Ehre als Mann nicht ausgewichen. Am Vorabend feierte er mit seinen Freund*innen noch ein Abendmahl, wohl einen Seder-Abend. Als er danach verhaftet wurde, waren seine Freunde geflohen, seine Freundinnen aber bei ihm geblieben. Sie erkannten ihn danach auch zuerst als den Lebendigen.
Wer gekreuzigt wurde, sollte alles verlieren. Leben, Unversehrtheit, Würde, aber auch Familie, Freund*innen und das Vertrauen darauf, in einer verbindenden Erinnerungsgemeinschaft über den Tod hinaus geborgen zu sein. Darum war auch eine Bestattung nicht üblich: War jemand dann endlich tot, dann blieb die Leiche am Kreuzbalken hängen, zur Abschreckung. Zwar war eine Bestattung nicht ausdrücklich verboten, aber darum zu bitten, hieß, sich dem Gutdünken der Behörden auszusetzen und damit der Gefahr, als Kompliz*in bei Hochverrat oder Aufstand gegen die römische Autorität zu gelten. Die Nicht-Bestattung war auch eine Form dieser systematischen Folter, die dazu da war, ganze Landstriche und Bevölkerungen zu unterwerfen und allen unmissverständlich deutlich zu machen: Das könnte auch euer Schicksal sein.
Aber zu Jesu Lieblingsmenschen gehörten eben auch die Frauen. Sie verhinderten, dass er im Sterben auch alle menschlichen Beziehungen verlor, denn sie blieben da. Und sie trauten sich nach dem Schabbat zum Grab, das Josef von Arimatäa oder jemand anders sich auszubitten den Mut hatte. Dort wollten sie die Riten der Bestattung nachträglich vollziehen, um Jesus auch so wieder aus der Ehrlosigkeit hinaus- und in die Gemeinschaft Israels hineinzuholen.
Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten, schrieb Paulus. Das war allein deswegen möglich, weil die Frauen den Glauben an Jesus als Lebendigen zuerst gewagt hatten. Und es hieß: Wir glauben, dass diese Gewalt nicht das letzte Wort hat, und dass die tödlichen Herrschaftsstrukturen zwischen Menschen zutiefst wider den Gottes Willen sind.
Es ist nachgerade absurd, was daraus geworden ist: Aus dem Gekreuzigten wurde der Patriarch seiner Kirche. Aus seinem Gedächtnismahl, gefeiert im Angesicht des entwürdigenden Foltertodes, wurde ein Ritual, dem nur Männer vorstehen dürfen. Gerade die Erinnerung an den Tod, der Jesu Männlichkeit von ihm nahm, wird mit dem männlichem Geschlecht so verknüpft, dass hier eine neue Geschlechterungerechtigkeit entstehen und Frauenhass sich so tief in das Gesicht der Kirche eingraben konnte. Mit der Männlichkeit Jesu wurde eine männliche Gottesvorstellung durchgesetzt und damit die anderen biblischen Gesichter Gottes unsichtbar gemacht. Mit Christus, dem Gekreuzigten, wurden Kriege geführt, Völker versklavt, Frauen unterworfen. Längst nicht alles aus dieser Aufzählung gehört in die Vergangenheit.
Wir verkünden Christus, den Gekreuzigten: Das dürften eigentlich nur noch die sagen, die so unterdrückt wurden – wenn sie es denn noch wollen. Alle anderen sollten an dieser Stelle schweigen. Mit einem Gekreuzigten sollte man nicht herrschen können.