Jesus ist am See Genesareth und sieht Petrus und Andreas, die gerade vom Fischen kamen, er ruft sie und sie folgen ihm nach, so erzählt es Markus im ersten Kapitel seines Evangeliums, und so ist es am Sonntag Lesungstext (Mk 1,14-20). Auch von Levi und von Matthäus, den Zöllnern, und von den beiden Brüdern Johannes und Jakobus gibt es eine entsprechende Geschichten in den Evangelien. Alle, von denen es so eine Berufungsgeschichte mit Namen gibt, tauchen im Zwölferkreis Jesu auf. Aber umgekehrt gibt es nicht über alle, diesen Zwölferkreis bilden, solche Geschichten, auch variieren die Namen in den Evangelien. Und dann gibt es in allen Evangelien nicht nur eine Menge Männer, die Jesus in irgendeiner Weise nachfolgen, sondern auch Frauen: Maria von Magdala, Johanna, die Frau des Chuzas - eines königlichen Beamten, was muss das für sie für ein Risiko gewesen sein! -, Susanna "und viele andere". Bei Lukas heißt es ausdrücklich, dass die Frauen um Jesus ihn zur Hinrichtung begleiteten - nur seine Freunde hatten ihn verlassen, seine Freundinnen nicht. Die Einheitsübersetzung, in der die Evangelien der besseren Lesbarkeit halber mit Zwischenüberschriften ausgestattet werden, unterscheidet in diesen nicht zum griechischen Urtext gehörenden Hinzufügungen übrigens sorgfältig nach Geschlecht: Geht es im folgenden Absatz um einen oder mehrere Männer, dann heißt es "Nachfolge", werden Frauen benannt, heißt es "Gefolge". Nicht, dass noch jemand auf die Idee kommt, die Frauen hätten genauso dazu gehört.
In der Überlieferung bis zu uns hat sich nämlich ein hochgradig vereinfachtes Bild durchgesetzt: Jesus wandert durch Galiläa, beruft zwölf Männer, zieht mit ihnen durchs Land und dann nach Jerusalem. Irgendwie kommen dann noch ein paar Frauen am Ostermorgen dazu, und in der nachösterlichen Zeit verschwinden diese Frauen dann glücklicherweise auch gleich wieder und die Zwölf werden zu den Aposteln. So kennen wir es von gotischen Kirchenportalen bis zu den Bildern in "meine erste Kinderbibel" und vergleichbaren Titeln.
Natürlich wird es in der Bibel vielschichtiger erzählt. Die Zwölf sind mehr eine Bezeichnung für eine Gruppe mit wechselnden Mitgliedern und stehen für die Stämme Israels, so wie "die deutsche Frauenelf" für das Fußball-Nationalteam der Frauen steht, die aufgestellten Spielerinnen jedoch wechseln können. Der Freund*innenkreis Jesu war größer, es gibt noch die ebenfalls symbolische Zahl von 72, und eine ungezählte Gruppe, vermutlich in wechselnder Größe: Manche wanderten zeitweise mit Jesus, manche nahmen in in ihre Häuser auf, wenn er in der Gegend war, manche begegneten ihm nur ein einziges Mal und ließen ihrem Leben durch diese Begegnung eine neue Richtung geben... und die Gruppe der Apostel*innen ist wieder eine Weiterentwicklung dieses bunten Haufens.
Zurück zum Anfang: Simon und Andreas werden mit Namen gerufen. Und wenn man in einem beliebigen Bistum unter den Priestern fragt, dann können sicher die meisten sich in diese Geschichte hineinlesen und ihre Erfahrungen mit diesem Gerufen-Werden verknüpfen. Und wie kamen die anderen Freund*innen Jesu in seine Nachfolge oder wenigstens in sein Gefolge? Sie sind ihm sicher nicht nachgelaufen, obwohl er die ganze Zeit vergeblich versucht hatte, sie nach Hause zu schicken oder sonstwie abzuschütteln. Dafür erzählen die Evangelien zu deutlich von Begegnungen und Gesprächen Jesu mit Frauen; es müssen starke Traditionen gewesen sein, besonders um Maria von Magdala, dass sie so gleichermaßen starke Eindrücke hinterlassen haben. Nicht stark genug allerdings, um jahrhundertelanges Überlesen unbeschadet zu überstehen; uns begegnen diese starken Geschichten nurmehr als Schemen. Die Frauengeschichten geben nicht den Rhythmus der Erzählungen an, so ist es in der Hebräischen Bibel, so ist es auch in den Evangelien und der Apostel*innen-Geschichte. Männer schreiben über Männer, das war damals so und ist auch heute noch so. Frauengeschichten werden seltener erzählt, weniger zitiert und kaum eingewoben in das Gedächtnis der Gemeinschaft und verschwinden darum immer wieder im "Meer des Vergessens" (Irmtraud Fischer). Manchmal werden die Frauen in den erzählten Geschichten vermännlicht, manchmal verlieren sie ihren Namen oder mehrere Frauengestalten verschmelzen zu einer, und manchmal, wenn die Frau besonders herausragend und ihre Geschichte besonders irritierend ist wie bei Maria aus Magdala, wird sie final von der besten Freundin Jesu zur Prostituierten degradiert und entsprechend verleumdet.
Wie sind, um bei den Frauennamen im Markusevangelium zu bleiben, Maria von Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und von Joses, und Salome zu Jesus gekommen? Hat er sie von ihrer täglichen Arbeit weg gerufen, kamen sie mit einer Last zu ihm, sind sie ihm auf dem Markt oder in der Synagoge begegnet? Wir wissen es nicht, und Frauen können sich darum oft nicht mit der gleichen Leichtigkeit in die Geschichten der Nachfolge hineinlesen wie Männer. Es muss ein bewegender Moment gewesen sein, so klingt es durch die Erzählung, da morgens am See, in diesem plötzlichen Einverständnis und der bedingungslosen Entscheidung. Solche bewegende Momente gab es um Jesus noch öfter, denn er fand auch Freundinnen, und auch sie ließen ihr Leben verändern in einer ungeahnten Weise. Sie gingen damit das größere Risiko ein und mussten stärker davon überzeugt gewesen sein, dass dieser Weg ein Weg auf den Spuren Gottes war. Wie schade, dass wir in den biblischen Evangelien nicht mehr darüber erzählt bekommen.