Du bist aber noch spät am Handy, sagt Gott. Das ist nicht so gesund, weißt du, oder?
Ja, sag ich. Aber ich versuche, besser zu verstehen, was da gerade passiert.
Ich bezweifle, dass du heute Abend mit Klicken und Lesen noch viel weiter kommst, sagt Gott.
Ach, Gott, sag ich und lege das Handy beiseite.
Wir schweigen eine Weile.
Ja?, fragt Gott schließlich.
Der war bei uns ein Heiliger, sag ich. Der spätere Weihbischof. Der hat mich getauft. Und jetzt ist er bei den mutmaßlichen Tätern, und zwar ganz weit vorne.
Ich weiß, sagt Gott.
Du hast gewusst, was er tat, und du warst bei meiner Taufe dabei, sag ich. Das ist echt schwer zu verpacken.
Ja, sagt Gott. Das ist eigentlich immer so bei diesen Sachen.
Ich habe mit einer Frau gesprochen, die hat einer von den 53 getraut, sag ich. Die hat so geweint.
Gott schweigt.
Das hat mir so leid getan, sag ich. Das kann man nicht wieder gutmachen.
Und jetzt stell dir noch die direkt Betroffenen vor, sagt Gott.
Manche von meinen Leuten können das nicht glauben, sag ich. Die, die jetzt mutmaßliche Täter sind, die sollten uns eigentlich von dir erzählen. Dich spürbar machen. Manche haben das so überzeugend gemacht, dass Leute das jetzt nicht übereinander kriegen.
Das ist ja auch schwer, sagt Gott.
War das dann alles gelogen, was sie von dir erzählt haben?, frag ich.
Ich glaube halt, so einfach ist es nicht, sagt Gott.
Du wolltest, dass wir wissen, dass du da bist, sag ich. Darum die Worte und die Zeichen.
Ja, sagt Gott. Aber es sind eben Menschen, verstehst du? Alle Menschen haben dunkle Seiten.
Aber sowas, sag ich, sowas machen nicht alle! Echt mal.
Das stimmt, sagt Gott.
Und deine Kirche hat sie machen lassen, sag ich. Ermöglichungsstrukturen, und so.
Das stimmt auch, sagt Gott.
Und von den Frauen heißt es, in unseren Worten und Zeichen könnte man dich nicht erkennen, sag ich. Und die, bei denen man das angeblich kann, von denen sind neun von 100 Täter geworden. Fast zehn Prozent! Und das sind vermutlich noch nichtmal alle.
Gott schweigt.
Manchmal frag ich mich, welche dunklen Seiten du wohl hast, sag ich nach einer Weile.
Gott schaut mich an.
Du hast auch die Gewalttäter mit deinem Atem ins Leben gerufen, sag ich. Und dann hast du zugelassen, dass du mit deinen Zeichen durch ihre Hände sprichst. Ich kann das kaum zu Ende denken.
Zu Ende gedacht wird es nicht leichter, sagt Gott. Aber wegen der Betroffenen, ja? Nicht meinetwegen. Ich komm schon irgendwie klar.
Ich weiß nicht, ob ich auf Dauer damit klarkomme, sag ich.
Ach Herzchen, sagt Gott.
In der Bibel steht, dass du du die Schreie der Witwen und der Waisen hörst, und dass an denen, die sie ins Elend stürzen, Vergeltung übst, sag ich.
Ja, sagt Gott.
Das wäre wenigstens etwas, sag ich.
Gott seufzt.
Wie kriegen wir das denn bloß noch rund, frag ich.
Manches kriegt man nicht mehr rund, sagt Gott.
Du musst so viele Schreie hören, sag ich.
Und die, die nicht mehr schreien können, die hör ich auch, sagt Gott.
Wir schweigen.
Kann ich noch was für dich tun?, fragt Gott.
Ich seh das Ende nicht, sag ich.
Das Ende liegt in meiner Hand, sagt Gott. Versprochen. Und bis dahin?
Zerbrich unsere Hoffnung nicht, sage ich leise.
Nein, sagt Gott. Das mach ich nicht. Hoffe ich.
Dann hab es mal gut, sag ich. Und lass von dir hören, ja?
Ja, sagt Gott. Bis bald mal wieder. Und Amen.