Baby (c) Terence Nance, CC BY 2.0 flickr.com

4. Adventssonntag im Lesejahr A // Gedanken zur 1. Lesung

Datum:
Sa. 21. Dez. 2019
Von:
Annette Jantzen

Die junge Frau hat ein  Kind empfangen... ein Satz aus dem Buch des Propheten Jesaja (Kapitel 7, Vers 14) und eine ungeheure Wirkungsgeschichte. Wo kommt er her?

Er erzählt eine Situation im 8. Jahrhundert vor Christus in der Regierungszeit Königs Ahas' von Juda, der bedroht wurde durch eine militärische Koalition von Aram in Syrien und dem Nordreich Israel. Gott spricht zu König Ahas und fragt, ob dieser  ein Zeichen haben wolle, das ihm zeigt, ob seine Furcht berechtigt ist. Ahas lehnt ab - was wohl eher falsche Bescheidenheit als echte Gottesfurcht ist, vielmehr scheint es, als wolle Ahas nicht sein Vertrauen auf Gott setzen. Darum gibt ihm der Prophet Jesaja, der Gottes Wort für diese Gegenwart ausdeutet, zu verstehen: Gott gibt Ahas ungefragt ein Zeichen, und das Zeichen ist, dass die junge Frau schwanger ist un einen Sohn zur Welt bringen wird. "Immanuel" wird sie ihn nennen, das heißt "Gott (ist) mit uns". An diesem Sohn können die Menschen ablesen, wie Gott sich als Gott erweist, die*der mit ihnen ist. Wenn er dem Kleinkindalter entwachsen sein wird, dann wird die militärische Koalition zwischen Aram und Israel zerbrochen und keine Gefahr mehr sein. Das Kind, so ergibt sich aus dem Fortgang des Textes, ist der heranwachsende nächste König von Juda, Hiskija. (Dass dieser nicht wörtlich "Immanuel" genannt wird, hat im Text seinen Grund darin, dass er eben als "Hiskija" im Namen trägt, wie Gott sich als Gott erweist: Hiskija bedeutet "Gott ist meine Stärke".)

Der hebräische Text nun, der diese Geburt ankündigt, spricht von der "jungen Frau" (alma). In der griechischen Übersetzung dieses Textes steht "Jungfrau" (parthenos), was "Mädchen" oder "junge Frau in heiratsfähigem Alter" bedeutet. Die Engführung der Bedeutung dieses Wortes auf ein unverheiratetes Mädchen, das noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, ist späteren Datums. Matthäus wird dennoch die Bedeutung als "unverheiratetes Mädchen" beabsichtigt haben.

Warum zitiert der Evangelist Matthäus diesen Vers? Er geht vor, wie es  bei der Verwendung der biblischen Schriften im jüdischen Kontext üblich ist. Dabei muss nicht der Hintergrund dieses Textes geklärt werden, sondern der Text wird aus dem Kontext gelöst und auf eine neue Situation bezogen. Matthäus zitiert die griechische Fassung des Verses und schreibt deswegen "Jungfrau" (parthenos). Er verwendet den Vers, um herauszustellen, dass ein rettendes Kind geboren wird - ein Kind, an dessen Geburt Gott seine*ihre Treue erweisen wird. Wenn dieses Kind heranwächst, wird Gott sein*ihr Volk retten. 

Wenn in der neuen Deutung des Jesaja-Verses durch Matthäus auch die Schwangerschaft selbst das rettende Wunder darstellt - und diese Auffassung des Textes ist durchaus schlüssig -, dann nicht, um etwas über Maria auszusagen, sondern um Jesus als Menschen mit zwei Herkünften zu beschreiben: Er ist Mensch, weil sein Vater Josef ist, denn über Josef wird in der Aufzählung der Vorfahren Jesu die Abstammung von König David hergeleitet. Und er ist Gott, denn er hat göttlichen Ursprung als Sohn der Jungfrau. Dass dieses Zusammengehen nicht logisch im naturwissenschaftlichen Sinne ist, ist für die erzählende und wirklichkeitsdeutende biblische Literatur kein Problem. Wenn in späteren Deutungen des Evangeliumstextes dann aber der Fokus auf die geschlechtliche Reinheit der Jungfrau gelegt wird, dann wird damit die erzählende und deutende Perspektive auf die Person Jesu Christi hin verlassen, und verlassen wird so auch eben dieser Deutungsrahmen, den die biblischen Texte eröffnen. Denn eine Aussage über das Wesen der Mutter Jesu - nach den Erzählungen der neutestamentlichen Schriften über die Brüder und Schwestern Jesu mindestens fünffache Mutter - gibt der Text nicht her.

In den Jahrhunderten nach der Trennung von Judentum und Christentum bis heute übersetzen die jüdischen Ausleger*innen übrigens konsequent "junge Frau" -  hier geht es dann darum, sich von der christlichen Interpretation, die sich auf die Gestalt der Jungfrau konzentriert, abzugrenzen.

Zum Weiterlesen: Bibel in gerechter Sprache und Jüdische Auslegungen der Jesaja-Texte