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4. Sonntag der Osterzeit B // zur zweiten Lesung

Datum:
Fr. 23. Apr. 2021
Von:
Annette Jantzen

Seht, wie viel Liebe Gott uns geschenkt hat, damit wir Gottes Kinder genannt werden, und wir sind es. Deshalb versteht uns die Welt nicht, weil sie Gott nicht versteht. Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder, aber was wir einst sein werden, ist noch nicht sichtbar. Wir wissen: Wenn es sichtbar sein wird, werden wir Gott gleichen, denn wir werden Gott sehen, wie sie ist.

1. Johannesbrief, Kapitel 3, Verse 1-2

Wir werden Gott gleichen, denn wir werden Gott sehen, wie sie ist: Der erste Johannesbrief traut sich was. Dabei ist er weder ein Brief, noch wissen wir, wer ihn geschrieben hat. Es ist eine meditierende Schrift, die die Themenkreise Liebe, Gerechtigkeit und Sünde immer wieder neu in den Blick nimmt.

Sie entstand vermutlich vor der Trennung von Judentum und christlicher Kirche und ist um maximale Toleranz bemüht, um einen gemeinsamen Glauben zu formulieren. In diesem Bemühen um einen gemeinsamen Glaubensgrund verweist sie schon in den Anfangssätzen programmatisch auf die erste Schöpfungserzählung. Wie die ersten Artikel einer Verfassung steht diese erste Erzählung für die Gesamtheit der hebräischen Bibel, die heilige Schrift der beiden damals noch ungetrennten Glaubensströmungen .

Der Text, der später die Benennung "erster Johannesbrief" erhielt, steht in der Tradition der Weisheitstheologie und entfaltet diese neu für ihre Leserinnen und Leser, Hörerinnen und Hörer. Die Autor*innen bleiben konsequent anonym: Damit entziehen sie sich auch den Zuschreibungen, die mit Namen einhergehen, und jeder Über- oder Unterordnung aufgrund des Geschlechts oder der sozialen Stellung. Und so inklusiv formuliert diese Schrift auch diese großartige Vision: Wer wir sein werden, wissen wir noch nicht. Aber wir werden Gott ähnlich sein, denn wir werden Gott sehen, wie Gott ist.

Auch hier klingt die hebräische Bibel nach, und darin wiederum besonders die erste Schöpfungserzählung. Hier findet sich nämlich das Motiv zum ersten Mal, dass die Menschen Gott gleichen: "Gott schuf den Menschen nach Gottes Bild - männlich und weiblich" (Genesis 1, 27). Es sind  Adjektive, keine Nomen, und das ist eine wichtige Beobachtung! Der Text grenzt nicht ein und schließt nicht aus, er definiert nicht, wer genau Gottes Bild ist. Und schon gar nicht grenzt er aus, wer nicht Gottes Bild ist. Im Gegenteil gibt er die Vielfalt wieder, in der Gott sich zeigt. Er vermeidet den Ausschluss und die Unterordnung des Weiblichen, und er denkt groß genug von Gott und Gottes überschäumender Schöpfungskraft, um Gott so vielfältig zu benennen: Männlich und weiblich ist der Mensch Gott ähnlich. Das ist keine Festschreibung, was der Mensch ist oder sein soll, sondern der Text öffnet einen weiten Horizont: Gott kann sich im Männlichen zeigen genauso wie im Weiblichen, und in dieser Vielfalt hat auch alles Platz, was zwischen und jenseits dieser Pole liegt.

Dass hier nicht nur ein idealer Mensch-an-sich als Gottes Bild benannt wird, ist aber noch in anderer Hinsicht wichtig. Denn wenn der Mensch männlich und weiblich Gottes Widerschein ist, dann ist auch alles, was gelingende Beziehungen zwischen Menschen ausmacht, Gottes Widerschein. Gott zeigt sich in Beziehung, und darum ist nicht nur jeder einzelne Mensch Gottes Widerschein, sondern auch die Vielfalt der Menschen und ihre Beziehungen untereinander.

In dieser Vielfalt sind wir jetzt schon Kinder Gottes. In dieser Vielfalt werden wir Gott ähnlich sein, denn wir werden Gott sehen, wie sie ist: männlich, weiblich und alles, was dazwischen liegt und darüber hinaus geht, und unendlich bunter, schöpferischer, lebendiger, als wir ahnen konnten.

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