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4. Sonntag im Jahreskreis B // zur zweiten Lesung

Datum:
Fr. 26. Jan. 2024
Von:
Annette Jantzen

Jungfräulichkeit ist ein patriarchales Konstrukt

Ich will, dass ihr ohne Sorge seid. Der unverheiratete Mann sorgt sich ganz um die Ewige, wie er der Ewigen genüge. Der verheiratete Mann sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er der Ehefrau genüge. Und er ist zerrissen. Die alleinstehende Frau und die junge Frau, die noch nie verheiratet war, – sie sorgen sich um die Ewige, um heilig zu sein an Körper und Geist. Die verheiratete Frau jedoch sorgt sich um die Dinge dieser Welt, wie sie dem Mann genüge. Das sage ich zu eurem Nutzen, nicht um euch eine Fessel anzulegen, sondern damit ihr in gerechter Lebensweise beharrlich und nicht zerrissen bei der Ewigen bleibt.

(Erster Brief an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 7, Verse 32-35)

Wie sollen Jesusgläubige leben? Ist es besser, alle Bindungen an den Alltag vor der eigenen Taufe zu kappen, oder ist es ok, das eigene Leben neben der Gemeindezugehörigkeit weiter zu leben? Oder ist das nicht nur nicht ok, sondern bedeutet, dass man gar nicht so richtig gläubig ist, ja dass man sündigt, wenn man weiterhin Beziehungen, Partnerschaft, Familie lebt oder gar jetzt noch heiratet? Eine Grundfrage für die Gemeinde in Korinth, die in der Erwartung des nahen Weltendes lebt. Da ist es erstmal entlastend, dass Paulus pragmatisch bleibt: Es wäre praktischer, Herz und Hände frei zu haben, aber eine Sünde, eine Schwäche im Glauben ist es nicht, wenn man Alltag, Familie, Beziehungen weiterhin wichtig nimmt.

Aber dann gibt es diesen Einschub über die alleinstehende Frau und die junge Frau, die noch nie verheiratet war. Anders als die hier zitierte Bibel in gerechter Sprache nennt die Einheitsübersetzung die erste "unverheiratete Frau" und die zweite "Jungfrau". Und der Schott, mal wieder, greift exakt diese eine Passage der Lesung mit ihren wirklich problematischen Implikationen für Frauen auf und wählt diese Zusammenfassung als kommentierenden, einleitenden Satz: "Die Jungfrau sorgt sich um die Sache des Herrn, um heilig zu sein."

Um junge, unverheiratete Männer geht es erst in der folgenden Passage des Briefes, dort ist dann die Frage, ob ein junger Mann seine Jungfrau "unberührt" lässt - das geht, wenn er "sich in der Gewalt hat und seinem Trieb nicht ausgeliefert ist" (1Kor 7,37). Enthaltsamkeit beweist beim jungen Mann Willensstärke, ist aber nicht mit seiner "Heiligkeit an Körper und Geist" verbunden. Das ist eine Sache für Frauen. Bei ihnen wird so Sexualität mit Unreinheit und Sünde verknüpft. "Unberührtheit" heißt als Wort auch: Es geht darum, ob jemand diese Frau "berührt" hat, nicht darum, ob sie selber aktiv war.

Einen ganzen mit für Frauen verheerenden Mythen angereicherten Themenkomplex öffnet der Partnerbegriff zu "Unberührtheit", nämlich das auch von der Einheitsübersetzung gebrauchte Wort "Jungfrau/Jungfräulichkeit", denn es transportiert die Vorstellung, dass eine Frau körperlich garantiert "ungeöffnet" sein kann und der erste Geschlechtsverkehr diesen Zustand beendet. Allein, dass es immer noch das Wort "Jungfernhäutchen" gibt, ist in diesem Zusammenhang ein Desaster. Selbstverständlich ist die Vagina eines Mädchens vor dem ersten Geschlechtsverkehr nicht mit einem Häutchen verschlossen, wie sollte sonst auch das Menstruationsblut fließen können? Auch wer schon bis zum Wissensstand gekommen ist, dass da kein Häutchen ist, sondern eine "vaginale Corona", ein Kranz von Schleimhautfalten, mag noch die Vorstellung haben, dass dieser Kranz allein durch Geschlechtsverkehr beschädigt wird und man also sehen könnte, ob ein weiblicher Mensch schon auf diese Weise sexuell aktiv war. Aber auch hier: Nein, das ist nicht so. Wie alle Hautzellen ändern auch diese im Lauf der Jahre ihr Aussehen. Aber mehr als eine grobe Information über das Alter einer Frau lässt sich am von außen sichtbaren Teil ihrer Vagina nicht ablesen - und um auf das grobe Alter zu kommen, kann man durchaus auch andere Körperteile betrachten, das Gesicht etwa würde sich anbieten. Jungfräulichkeit ist kein biologisches Phänomen, sondern ausschließlich ein kulturelles Konstrukt. Und der Nutzen dieses Konstrukts ist klar, da geht es um Sicherstellung der Vaterschaft und damit um ein 1a patriarchales Interesse.

Natürlich macht es für einen Menschen einen Unterschied, welche sexuellen Erfahrungen er im Laufe des Lebens macht, und für religiöse Menschen kann das durchaus auch Auswirkungen auf ihre Gottesbeziehung haben. Aber eben: Männer sammeln Erfahrungen, Frauen verlieren ihre Jungfräulichkeit. Sie sind dann, wie es der zum Glück nicht mehr gebrauchte, unfassbar diskriminierende englische Ausdruck für eine Frau besagt, der das vor der Ehe passiert, "damaged goods", beschädigte Ware. Auf deutsch ist es nicht minder hart: Männer dürfen sich austoben, Frauen werden Schlampen.

Paulus sagt das so nicht. Er verweist nur darauf, dass Frauen ohne Sexualpartner heilig an Geist und Körper bleiben. Dass er ihren Geist mit nennt, ist ja geradezu schon lobend anzumerken. Aber er macht dieses Fass der körperlichen Heiligkeit eben nur bei Frauen auf. Wiederum anerkennend ist zu sagen: Er reduziert diese Heiligkeit nicht auf "Jungfrauen", sondern sexuelle Enthaltsamkeit etwa von Witwen öffnet diesen auch den Zugang zur körperlichen Heiligkeit. Paulus bemüht sich dankenswerterweise um eine Ent-Ideologisierung der Debatte, ob man angesichts des Weltendes überhaupt noch sexuell aktiv sein darf. Und zugleich transportiert er so nebenbei die Vorstellung, dass sexuell aktive Frauen nicht oder zumindest weniger heilig an Körper und Geist seien. Auch das sagt er nicht, und er kann sich nicht mehr dagegen wehren, so verstanden zu werden.

Über die Jahre wurde mit solchen Nebenbei-Selbstverständlichkeiten aber unglaublich viel Sexualkontrolle gerade über Frauen genährt, einhergehend mit massiver Abwertung weiblicher Sexualität und letztlich Frauenfeindlichkeit. Solche früheren  Selbstverständlichkeiten dürfen nicht mehr weitergetragen werden, weder ausdrücklich noch nebenbei.   

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