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7. Sonntag der Osterzeit B // zur 1. Lesung

Datum:
Do. 9. Mai 2024
Von:
Annette Jantzen

Da kehrten sie vom Berg, der Ölberg heißt, nach Jerusalem zurück; er liegt nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg weit. Als sie ankamen, stiegen sie hinauf in das Obergeschoss, wo sie sich aufhielten: Petrus, Johannes, Jakobus und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon der Eiferer und Judas, der Sohn des Jakobus. Sie alle waren einmütig und regelmäßig auf das Gebet bedacht, zusammen mit den Frauen und Mirjam, der Mutter Jesu, und seinen Geschwistern.
In diesen Tagen trat Petrus mitten unter den Schwestern und Brüdern auf – es war eine Menge von ungefähr 120 Personen zusammen – und sagte: »Ihr lieben Leute, Schwestern und Brüder, es musste die Schriftstelle ausgeführt werden, die die heilige Geistkraft durch den Mund Davids über Judas vorausgesagt hatte, der denen den Weg wies, die Jesus festnahmen. Er zählte ja zu uns und ihm war Anteil an demselben Auftrag zugefallen. Der hat sich nun ein Stück Land von seinem ungerechten Lohn erworben; er stürzte kopfüber und platzte in der Mitte auf, und all seine Eingeweide quollen hervor. Das wurde allen bekannt, die in Jerusalem wohnen, so dass jenes Stück Land in ihrer Landessprache »hakeldam-ch« genannt wird, das heißt ›Blutland‹. Es steht nämlich im Buch der Psalmen geschrieben: Sein Landgut soll wüst werden, und niemand soll auf ihm wohnen. Und: Seine Aufgabe soll jemand anderes bekommen. Von den Männern also, die in der ganzen Zeit mit uns zusammen gegangen sind, in der Jesus, der Herr, bei uns ein- und ausging, von der Johannestaufe angefangen bis zum Tag, an dem er uns entzogen und hinaufgenommen wurde – einer von denen muss mit uns Zeuge seiner Auferstehung werden.« Da stellten sie zwei auf, Josef, Barsabbas genannt, der auch Justus hieß, und Matthias. Sie beteten: »Du, Adonaj, kennst aller Menschen Herzen: Zeige doch auf, welchen von diesen beiden du ausgewählt hast, die Stelle dieser Beauftragung als Apostel einzunehmen, von der Judas abgewichen ist, um an den ihm zukommenden Ort zu gehen.« Da gab man ihnen Lose; und das Los fiel auf Matthias, und so wurde er zu den elf Aposteln hinzugewählt.

(Apostelgeschichte, Kapitel 1, Verse 12-26; Lesungstext sind die fettgedruckten Verse)

Kommen überhaupt Frauen in der Apostelgeschichte vor? Wer nur die Ausschnitte hört, die für die sonntäglichen Lesungen in der Osterzeit vorgesehen sind, kann gut den Eindruck bekommen, dass das eine reine Männergeschichte sei. Zwar bemüht sich Lukas, ein literarisches Gleichgewicht herzustellen, indem er Erzählkreise jeweils paarweise als Männer- und als Frauengeschichten anordnet, aber wenn dann ausschließlich die Männergeschichten vorgetragen werden, hat das natürlich Folgen für die Wahrnehmung.

Tabita, Damaris, Rhode, Lydia, Priszilla - ihre Geschichten bleiben im Schatten der großen Männer. Das ist zwar nicht im Sinne des Lukas, aber völlig unabhängig von ihm geschieht das auch nicht, denn auch wenn er ein Gleichgewicht anstrebt, so verschwinden doch die Frauen in den männlichen Sprachformen. Bei jeder Szene, in der eine Menge anwesend ist, ist davon auszugehen, dass diese Menge Kinder, Frauen und Männer umfasste, aber ausdrücklich wird das nur, wenn es etwas Besonderes zu erwähnen gibt - bei Konfliktsituationen oder wenn sie als Führungsfiguren so bekannt sind, dass sie nicht unerwähnt bleiben können, ohne die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu gefährden.

Lukas ist ein Beispiel dafür, warum gendern so wichtig ist. Er ist kein Frauenhasser, er hat keine Schwierigkeiten mit der Vorstellung, dass Frauen Menschen sind, dass sie Männern ebenbürtig sind, dass sie gotteswürdig sind. Er erwähnt sie, wo es sich anbietet. Aber besonders wichtig ist es ihm dann auch nicht, und so macht er Frauen auch aktiv unsichtbar, zum ersten Mal und besonders nachhaltig in den Versen, die der Sonntagslesung unmittelbar vorausgehen: Da zählt er auf, wer alles im Obergeschoss anwesend war, dem Raum, in dem gewohnt, gebetet und gelehrt wird. Da sind die Augenzeuginnen des Sterbens Jesu, die ersten Zeuginnen seines Lebendigseins und die Elf, die vom Zwölferkreis übriggeblieben sind. Wenn Lukas nun diese elf nun namentlich aufzählt und danach "die Frauen und Maria, die Mutter Jesu, und seine Geschwister" hinterhergeschiebt, dann sind damit wichtige Weichen schon gestellt.

Und so ist es auch kein Wunder, dass das Los bei der Frage danach, wer Judas' Platz einnehmen solle, auf einen Mann fällt. Wenn man nur Männer zur Auswahl stellt, ist etwas anderes nicht ernsthaft zu erwarten. Auch das fällt beim sonntäglichen Vortrag nicht auf, denn die vorangegangene Aufzählung, wer alles zum inner circle gehört, wird nicht mitgelesen, sondern der Text setzt unmittelbar danach ein, wo die "Schwestern" in der griechischen Pluralform "Brüder" verschwinden, als hätte Petrus nur zu Männern geredet. (Nur die oben zitierte Bibel in gerechter Sprache macht die Frauen hier wieder sichtbar.) So wird Lukas' Tendenz, Frauen kleinzuschreiben, durch den Zuschnitt noch massiv verstärkt. Konnte man im Textfluss immerhin noch wissen, dass Petrus, der da auftritt, in dieser gemischten Gruppe aufsteht, so suggeriert der Ausschnitt, dass es eine reine Männersache gewesen sei. Warum aber wurden nur Männer aufgestellt? Dafür braucht es offensichtlich keine Begründung. Damit bekommt die endzeitliche Zeichenhandlung Jesu, mit den "Zwölf" das "Neue Israel" zu symbolisieren, eine Funktionalität, die  nicht aus Jesu Leben, nicht aus Jesu Umgang mit Menschen verschiedener Geschlechter, nicht aus seinem Sterben und nicht aus den ersten Erfahrungen seiner Lebendigkeit folgt. Bis heute setzt sie sich fort in der Annahme, er hätte eben nur Männer berufen.

Das Konzept des Lukas lässt sich wohl rekonstruieren: Er braucht den Apostelbegriff, wenn es um wichtige Kontinuitäten geht (siehe: Wer ist eigentlich ein Apostel?). Die 12 von Jesus zur Symbolisierung des Ganzen Israel hervorgehobenen Jünger sorgen für die Überlieferung über Wendepunkte hinweg, von Ostern zur Himmelfahrt, von Pfingsten zur Weltmission. Lukas hatte auch von den Frauen beim Kreuz geschrieben, so wie von den Frauen im Obergemach. Aber als Mann seiner Zeit legt er keinen Akzent darauf, und so erscheint es überhaupt nicht fragwürdig, warum denn das göttliche Los nur die Wahl zwischen zwei Männern bekommt. Mit dieser Herleitung lässt sich zwar vermutlich begründen, warum unter zwei Männern der eine gewählt wurde und der andere nicht - aber die Folgerung, das göttliche Los hätte nur Männer wählen wollen, ist doch einigermaßen gewagt.

Auch hier gilt: Wer schreibt, bleibt. Und wer nicht schreibt, muss sehen, wo sie bleibt. Hier schreibt Lukas, und damit jemand, der Frauen zwar erwähnt, aber die normale Zurücksetzung, das Unsichtbarmachen und Vergessen von Frauen nicht bemerkt oder nicht problematisch findet. Dabei bietet seine Apostelgeschichte schon so viele Frauengeschichten! Was wäre wohl aus dem Christentum geworden, hätte Lydia, Salome, Drusilla, Berenike oder Maria die Entstehungsgeschichte des Glaubens an Jesus von Nazareth aufgeschrieben?

Was heißt das für heute? Zuerst wäre es an der Zeit, die Leseordnung in der Osterzeit zu überarbeiten und die Ausschnitte geschlechtergerechter auszuwählen - das würde dann auch Lukas' Konzept besser entsprechen. Und dann gilt es, die Texte immer wieder auf Leerstellen, blinde Flecke und eigene leseleitende Vorverständnisse hin zu befragen. Und, am schwierigsten heute wohl: Es gilt, den Gedanken zuzulassen, dass das Gotteswort wirklich im Menschenwort daherkommt, in begrenzter und begrenzender Sprache, und dass der Glaube an Jesus von Nazareth von Anfang an in einer Welt voller Ungerechtigkeit Wohnung nahm. Nicht alles, was die frühen Glaubensgeschwister entschieden haben, ist darum sakrosankt. Um für heute zu lernen, wäre ein Blick auf die Gemeindeleitungen in der Apostelgeschichte und in der frühen Kirche deutlich hilfreicher als der auf die Nachwahl in den Zwölferkreis, dessen Funktion mit dem Tod der ersten Generation Jesusgläubiger endet, aber dann lässt sich halt der Ausschluss von Frauen nicht mehr rechtfertigen. Die Szene der heutigen Lesung taugt ohnehin nicht zur Rechtfertigung eines katholischen Amtsverständnisses; noch weniger taugt sie zur Begründung, warum das eine Männerangelegenheit sei.

 

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