Juble, Tochter Zion! Schrei vor Freude, Israel! Freu dich und jauchze von ganzem Herzen, Tochter Jerusalem. Deinen Urteilsspruch hat ICH-BIN entfernt und weggeräumt, was dir feindlich gegenüberstand. Es regiert ICH-BIN in deiner Mitte: Du brauchst dich nicht mehr zu fürchten! An jenem Tag wird zu Jerusalem gesagt werden: Fürchte dich nicht! Zion, lass deine Hände nicht mutlos sinken! ICH-BIN, dein Gott, ist in deiner Mitte und rettet dich beherzt. Gott ist ganz begeistert von dir – Gott ist stumm vor göttlicher Liebe – Gottes Jubelruf schallt über dich!
Buch des Propheten Zefanja, Kapitel 3, Verse 14-15
Das Buch Zefanja gehört zu jenem Großteil des Ersten Testaments, der im christlichen Gottesdienst nur bruchstückhaft gelesen wird. Dabei wird er wie ein Auftakt behandelt, der ausschließlich auf das christliche Evangelium hinweist - die Vielstimmigkeit und Fülle der Gottesbotschaft im Ersten Testament wird so ausgeblendet. So wird auch das Buch Zefanja in der Leseordnung deswegen zitiert, weil es sich mit dem Ruf "Juble, Tochter Zion!" in die Lesart von Verheißung und Erfüllung, von Jerusalem-Zion-Motiven einfügt, die auch die Messiashoffnung durchziehen und traditionell zur christlichen Adventssprache gehören.
Das ist aber nur ein Teil der Aussage des Buchs des Propheten Zefanja. Darin geht es um eine umfassende Sozialkritik, und das Hauptmotiv ist das von Mitte und Rand. Wo ist das Zentrum des Glaubens? In Jerusalem, lautet die einfache Antwort. Aber in Jerusalem herrscht Ungerechtigkeit: In diesem Zentrum herrschen Überfuss und Macht, während bei die Randgruppen unter Armut und Ausbeutung leiden - hier wird kein Silber geschlagen, sondern Stroh gesammelt. Die Randgruppen sind im doppelten Sinn "am Rand": Sozial, aber auch geographisch am Rand der bekannten Welt.
Und die prophetische Botschaft ist einfach: Gott wird die Mitte, die ungerechte Herrschaft vernichten und die Menschen vom Rand dann in die Mitte holen und mit ihnen die Mitte - Jerusalem - neu aufbauen als Zentrum des Friedens und der Gerechtigkeit, wo Gott gegenwärtig ist. Jerusalem ist nicht automatisch die Stadt Gottes (Rom auch nicht...), sondern nur, wenn es in ihr eine gerechte Ordnung gibt.
Natürlich transportiert die Rede von der "Tochter Jerusalem" ein männliches Weltbild, in dem die Tochter völlig abhängig vom Vater ist. Solche Bilder sind in einer patriarchalen Kultur erwartbar und geläufig. Aber zum Zentrum Gottes wird diese Tochter Jerusalem erst, wenn konkrete männliche strukturelle Gewalt endet: Ausbeutung der Armen, in sich unrechtmäßige Kapital- und Immobilienanhäufung, Instrumentalisierung Gottes für den eigenen Machterhalt. Das mag Menschen heute vage bekannt vorkommen... Es lohnt sich, sich beim Lesen der prophetischen Schriften nicht automatisch mit dem Propheten zu identifizieren, wie es in der kirchlichen Rezeption oft geschieht - was damit zusammenhängt, dass sie ausschließlich als Verweis auf das Zweite Testament gelesen werden. So gelesen, wäre die Kritik natürlich nicht mehr aktuell.
Aber wenn der prophetische Text ernstgenommen wird, ergibt sich noch eine Perspektive: Zu männlicher Machtausübung gehört selbstverständlich auch die Unterdrückung von Frauen. "Jerusalem" als Symbol für jeden Ort, wo Gottes Gegenwart geglaubt wird, wird also erst zum Ort Gottes, wenn dort auch Geschlechtergerechtigkeit herrscht. Wenn man jetzt noch hinzunimmt, dass auch die Kirche das Bild von Gottes Jerusalem gern auf sich selbst anwendet, dann wird es erst eine richtig unbequeme Botschaft. Zumindest, wenn man nicht aus einer männlichen Position heraus festlegt, wann Frauen diskriminiert werden und wann nicht.
Das Buch Zenfanja auf den Advent hin gelesen könnte dann heißen: Gottes Sehnsucht ist, dass Menschen frei sind. Gott wird darum gegenwärtig, nahbar, jemand von uns. Aber Gott identifiziert sich dabei mit keiner ungerechten Herrschaft. Nicht mit der Herrschaft der Reichen über die Armen, nicht mit der Herrschaft von Männern über Frauen. Zur Gerechtigkeit ist es noch ein weiter Weg. Bis dahin ist Gott Anwalt derer, die am Rand stehen.