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Heiligabend // zum Evangelium - Ehrenrettung für den Wirt

Datum:
Do. 22. Dez. 2022
Von:
Annette Jantzen

"Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war."

Ein Satz aus dem Lukasevangelium, der heute unzählige Krippendarstellungen inspiriert: Ställe mit gar löchrigem Dach, je abgewrackter, desto besser. Umso größer ist der Kontrast zum Gottesgeschenk, das da in der Krippe leuchtet. In Krippenspielen kommt dem Wirt darum zumeist die Rolle des abweisenden, nur zähneknirschend doch noch hilfreichen Raubeins zu. Manchmal klingt auch alter christlicher Antijudaismus mit bei der Betrachtung dieses so unglücklichen Lebensstartes des Gotteskindes, abgelehnt und ausgegrenzt von Beginn an.

Lukas erzählt eine Geschichte. Es geht hier nicht um das "Wie es eigentlich gewesen ist" - das ist erstens nicht möglich und zweitens nicht notwendig. Betlehem ist kein historischer Geburtsort des Jesus von Nazareth in Galiläa, sondern verbindet sein Leben mit dem damals schon legendären König David, aus dessen Nachkommenschaft eine Rettungsgestalt erhofft wurde. Es geht also nicht um historische Korrektheit, aber es geht darum, zu verstehen, welche Geschichte Lukas erzählt.

Er erzählt sie natürlich vom Ende her, das für die Jesusgläubigen ein neuer Anfang wurde, als sie das Leben und Sterben ihres Rabbis erzählten und davon, dass die Treue Gottes auch über dessen Tod noch weiter reichte, dass sie in ihm einen Zugang zu dieser Treue Gottes gefunden hatten über seinen Tod hinaus, denn der Tod konnte nicht das Ende dieser Treue sein. Darum erzählt Lukas auch nicht die Geschichte eines Neugeborenen, das von Anfang an besonders war, denn es geht ja nicht darum, in wem sich Gott zeigen will, sondern in wem Menschen Gott erkennen können.

Lukas erzählt also diese Geschichte Jesu, in dem Menschen Gott begegnet sind. Lukas erzählt eine Geschichte der Armut. Aber er erzählt keine Geschichte von Ausschluss, Ablehnung und Verachtung. Diese Geschichte von der Geburt im Stall erzählen wir heute, weil wir die Geschichte aus dem Lukasevangelium nicht mehr in ihrem ursprünglichen Kontext hören und sie darum anders verstehen, als sie geschrieben wurde.

Lukas, der die Geschichte der Geburt Jesu erzählt, kennt die kleinen Ein-Raum-Häuser Palästinas, in der die Familie - deutlich mehr Varianten als Vater-Mutter-Kind waren hier normal - zusammen mit ihrem Vieh lebte. Es gab verschiedene Typen dieser Häuser, auch in den Städten übrigens, mal mit einem erhöhten Bereich für die Menschen, mal mit einer trennenden halbhohen Wand zwischen den Bereichen von Menschen und Tieren. In diese halbhohe Wand war dann praktischerweise direkt die Futterkrippe eingelassen. Das war das Heim der Familien. Wer nun ein bisschen was sparen konnte, konnte es sich leisten, einen zweiten Raum an dieses Haus anzubauen, um ihn dann zu vermieten: einen Raum für zahlende Gäste. Dieser Raum ist die "Herberge" im Lukasevangelium. Wenn Lukas also erzählt "sie legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war", dann hörten die ersten Adressat*innen der Geschichte: Der Raum für zahlende Gäste war schon belegt. Darum waren Maria und Josef ins Zuhause der Familie aufgenommen worden, die zusammengerückt war, um Platz zu machen für die neue Familie, und das Neugeborene wurde in die Krippe gelegt, damit es nicht zwischen die Hufe der Tiere geraten konnte. Jesus wurde nicht in Ausgrenzung und Verachtung hineingeboren, sondern in die Solidarität der Armen. Das zweite Mal übrigens, dass das Wort "Herberge" im Evangelium auftaucht, ist beim letzten Abendmahl: Es ist nämlich genau so ein angebauter Raum, den Jesus und seine Schüler*innen anmieten, um darin Pessach zu feiern. Am Ende war Platz in der Herberge.

Der Stall ist nicht weit draußen, der Stall ist im Haus der Familie, die die Neuen zu sich aufgenommen hat. Nicht Einsamkeit steht am Beginn, sondern Solidarität. Diese Solidarität ist das Zeichen für die Hirtenfamilien, dass Friede auf Erden und die Erfahrung der Gnade Gottes möglich sind.

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