Lesung
Darauf sagt Pilatus: »Was soll ich nun mit Jesus, der Messias genannt wird, machen?« Alle antworteten: »Er soll gekreuzigt werden.« Pilatus jedoch sagte: »Was hat er denn Böses getan?« Und sie schrien noch lauter: »Er soll gekreuzigt werden.« Als Pilatus merkte, dass er nichts ausrichtete, der Aufruhr sogar schlimmer wurde, nahm er Wasser und wusch seine Hände vor dem Volk. Und er sagte: »Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen. Das ist eure Sache!« und er ließ Jesus mit Geißeln schlagen und überstellte ihn, damit er gekreuzigt werde. (Mt 27,22-26)
Meditation
Es ist fast 2000 Jahre her. Er war einer unter vielen. Er starb, grausam hingerichtet, wie so viele andere – Wegkreuze gab es damals auch, an den Straßen, vor den Städten, nur waren sie keine Erinnerung an den einen, gesegneten Menschen Jesus aus Nazareth in Galiläa, sondern sie waren Gegenwart, und es erstickten an diesen Kreuzbalken Kleinkriminelle, Verbrecherinnen, Mörder, entflohene Sklavinnen, Aufständische, zur Abschreckung und um allen, die an ihnen vorbeikamen, ihren Platz in der Welt zu verdeutlichen: Das könnte auch euer Schicksal sein.
Wie viele Menschenleben sind seitdem vergangen? Wir Menschen sind nicht phantasieloser geworden, was Gewalt angeht. Und Gott-die-Gerechte lässt ihre Sonne aufgehen über Opfer und Täter, über Unterdrückte und Herrschende, über die Lenker der Geschichte, über die vielen Namenlosen, die unter ihre Räder geraten, und über die Kinder, die noch nichts wissen sollten von den Gewaltstrukturen dieser Welt.
Er war einer unter vielen. Er wurde verurteilt, aber die Verantwortung dafür wurde weitergereicht, keiner wollte zuständig sein – dafür war er auch nicht wichtig genug, und niemand war schuld.
Lesung
Und sie führten auf die Straße hinaus, um ihn zu kreuzigen. (Mk 15,20)
Meditation
Wenn da kein Ausweg mehr ist
Wenn die Gewalt das letzte Wort behält
Wenn niemand rettet und nichts hilft
Wohin tragen dann meine Schritte?
Lesung
Ich aber, ein Wurm bin ich und kein Mensch,
Spott der Leute, verachtet vom Volk.
Alle, die mich sehen, verhöhnen mich,
verziehen die Lippen, schütteln den Kopf. (Ps 22,7-8)
Meditation
Er war einer unter vielen, und was er zu tragen hatte, war zu schwer. Die Gnade, aufgeben zu dürfen, wurde ihm nicht zuteil. Wir erinnern uns an ihn, an diesen einen in einer langen Reihe, jedes Jahr wieder. Und jedes Jahr sind so viele hinzugekommen, die sein Schicksal teilen, auf die eine oder andere Weise: Niedergedrückt, gedemütigt, misshandelt.
Meditation
Sie hieß Mirjam, das heißt: Bitterkeit. Oder auch: geliebt. Ihr Leben umfasste beides.
Ihr erstes Kind: ein Junge.
Sie gab ihm den Namen Jeschua, das heißt: Gott ist Rettung.
Er lernte von ihr den Glauben an Gott, einzig und treu, und die Hoffnung auf Gottes Gerechtigkeit.
Das Zerwürfnis war tief, als er ging, die Enttäuschung groß und das Unverständnis auch.
Ihr Lied trug noch so viele durch die Zeit, ihr Lied von Gottes Rettung und Gottes Treue, und von der Kraft des Lebens, an der sie teilhatte.
Ihr selbst blieb nur ihr Verstummen, ihr Mitansehen und das Weiterlebenmüssen über den Abgrund hinweg, den Abgrund des Entsetzens, der Ohnmacht und der namenlosen Trauer.
Und darin immer noch ein Klang ihres Namens: Bitterkeit. Und: Liebe.
Lesung
Da kam Simon aus dem afrikanischen Zyrene, der Vater von Alexander und Rufus, vom Feld zurück und wollte vorbeigehen. Ihn zwangen sie, den Querbalken des Kreuzes für Jesus zu tragen. (Mk 15,21)
Meditation
Es ist egal, wie lange es her ist. Wir können uns nicht entziehen. Irgendwo lauert der Abgrund, irgendwo lauert die Frage, ob wir denn nichts, gar nichts tun können. Und natürlich können wir. Aber was, wenn das nicht reicht und wir maximal etwas lindern können? Den Lauf der Welt wird es nicht aufhalten, abgesichert durch Waffen und Übermacht, damals nicht und heute nicht. Wem nützt unsere Solidarität? Mittragen, ohne helfen zu können - ist das, was bleibt? Aber wie kann ich anders ein Mensch bleiben?
Meditation
Ich suche dein Angesicht, du meine Gottheit,
ich schaue und erstarre und suche doch dein Angesicht
dein Angesicht in all der Zerstörung,
dein Angesicht auf dieser Erde.
Ich suche dein Angesicht, du meine Gottheit,
wo nichts mehr trägt und nichts mehr bleibt,
suche ich deinen Blick
der unergründliches hingeht über uns
und auf uns ruht für die Dauer der Tage.
Lesung
Wie Wasser bin ich hingegossen,
alle meine Knochen fallen auseinander.
Mein Herz ist wie Wachs geworden,
geschmolzen in meinem Inneren. (Ps 22,15)
Meditation
Sie haben ihm nichts erspart. Wie schwer kann ein Gang sein? Unerbittlich und gleichgültig, als könnte niemand etwas daran ändern, sorgt sein Fall nur für eine kleine Verzögerung im Ablauf der Dinge, aus dem es keinen Ausweg geben wird, keine Rettung und keinen Trost.
Lesung
Eine große Menge Volk folgte ihm, wobei die Frauen ihn beweinten und sich vor Trauer auf die Brust schlugen. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte: “Töchter Jerusalems, weint nicht über mich. Weint aber über euch und über eure Kinder!” (Lk 23,27-28)
Meditation
Weint über euch und eure Kinder
darüber, dass sie euch anschauen werden und fragen, ob das wahr ist
über die Schatten, die sich über sie legen werden
wenn sie lernen, dass die Gerechtigkeit nur gelegentlich siegt
und dass es Wunden gibt, die niemals mehr heilen.
Weint über euch und eure Kinder,
und wenn es auch nur dafür hilft, um als Berührbare Menschen zu bleiben
Lesung
Ausgetrocknet wie eine Tonscherbe ist meine Kraft,
meine Zunge klebt an meinem Gaumen.
In den Staub des Todes legst du mich.
Hunde umkreisen mich, eine Meute von Bösen umgibt mich,
so wie ein Löwe meine Hände und meine Füße. (Ps 22,16-17)
Meditation
Ich will nicht hinsehen, Gott,
ich weiß ja, was kommt
ich will nicht hinfühlen
ohnmächtig und ausgesetzt
ich will mich bei dir bergen
und an deine Nähe glauben
an deine Treue
und deine Gerechtigkeit.
Lesung
Und sie teilten seine Kleider unter sich, indem sie das Los war darüber warfen. (Mt 27,35)
Meditation
Er war einer unter vielen, einer in einer langen Reihe, die bis heute nicht abreißt, Mädchen und Jungen, junge und erwachsene Menschen - Blicken ausgeliefert und preisgegeben, beschämt und verletzt bis tief unter die Haut. Gott, du unser Gott, würdest du doch umhüllen und schützen, die verwundeten Körper heilen und einen Schutzraum öffnen für die geschundenen Seelen. Siehst du hin, o Gott? Bietet dein Blick eine Zuflucht, bewahrst du die Würde der Entwürdigten?
Lesung
Und sie kreuzigten ihn und setzten sich hin und beobachteten ihn dort. (Mt 27,35-36)
Meditation
Nie hätten wir gedacht, o Gott
Nie hätten wir gedacht, dass die Gewalt das letzte Wort behält
Wir sehen und begreifen nicht
Und ohne zu begreifen stammeln wir zu dir, oh Gott
Wir sehen die Gewalt und den unmenschlichen Schmerz
Und dein Schweigen liegt schwer über uns.
Lesung
Um zwölf Uhr breitete sich eine Finsternis im ganzen Land aus bis um drei Uhr. Um drei Uhr schrie Jesus sehr laut: “Elo-i Elo-i lama sabachtani?” Das heißt übersetzt “Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?” Und sein Lebensgeist verließ ihn. (Mk 33-35.37)
Meditation
Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?
Ungehört verhallen lässt du meine Schreie.
Über mir dein leerer Himmel, dein Dunkel hinter allem
und im Schweigen nur ein fernes Echo deiner Stimme
Aber du, du bleibst heilig, du wohnst in den Lobliedern Israels.
Wirst du wachen über mir?
Lesung
Als es Abend geworden war, kam ein reicher Mann von Arimatäa, mit Namen Josef, der auch ein Jünger Jesu geworden war. Er ging zu Pilatus und bat um den Leichnam Jesu. Da befahl Pilatus, ihn ihm zu geben. (Mt 27, 57-58)
Meditation
Nun schweigt die Angst
Nun schweigt der Schmerz
sie lassen ab
nur Stille bleibt
Der Schmerz die Scham
die Angst, die Not
vorbei, vorbei
nur Einsamkeit
Ich halte dich
und fühle nichts
vor diesem Schmerz
verstummt die Welt
Lesung
Josef nahm den Leichnam, wichelte ihn in saubere Leinwand und legte ihn in seine neue Grabkammer, die er in den Fels hatte schlagen lassen. Er wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon. Maria von Magdala und die andere Maria saßen vor dem Grab. (Mt 27,59-61)
Meditation
Ich werde still angesichts des Vertrauens Jesu in die machtvolle Güte, die hinter dieser Welt steht, die alles trägt, was hier geschieht, diese machtvolle Güte, von der die Männer, die ihn ermordeten, keine Ahnung hatten. Diese machtvolle Güte, die gleichzeitig so undurchdringlich ist, weil sie dem Leid kein Ende bereitet. Ich möchte mich ausstrecken und etwas zu fassen bekommen, was ich nur schemenhaft ahne, etwas zu fassen bekommen von einer großen Ruhe, die jenseits aller Gewaltordnung liegt. Ich ahne, dass es eine Verbundenheit aus der Kraft des Lebens gibt, die tiefer reicht als alle Erklärungen und die tragfähiger ist als alle Macht und Gewalt auf dieser Welt. Dass es eine Verbundenheit im Leid wie im Heilsein gibt, die tiefer reicht als aller Zusammenbruch. Auch der schlimmste Todeskampf findet ein Ende. Und endlich, endlich ist dann alles vorbei, der Schmerz, die Angst, die Verzweiflung. Sie enden in einer großen Stille, während die unempfindliche Geschäftigkeit rund um den Hinrichtungsplatz herum weitergeht, als wäre nichts geschehen. Das ist die Schwelle, auf der wir stehen, und von der wir nicht wissen können, ob hinter dem Zusammenbruch noch eine Zukunft sein wird. Ich möchte glauben, das sich hier, auf der Schwelle, in der Stille nach dem Todeskampf etwas zeigt von dieser großen Ruhe und unauslotbaren Güte, die weiter reicht als alles, was wir hoffen können.