Religion kommt oft daher, als sei Glaube etwas, was man lernen und dann wissen müsse. Als ginge es darum, ein Wissen zu erwerben über Dinge, die in der Vergangenheit geschehen sind. Als sei das, worum es im Glauben geht, etwas, das von außen kommt in der Gestalt von Lehrsätzen und komplizierten Sachverhalten.
So lernten Generationen kleiner katholischer Menschen die sieben Gaben des Heiligen Geistes aufzählen, lernten den Geist als eine Person der Dreifaltigkeit anzureden und dass im Pfingstwunder die Kirche errichtet wurde. Nebenbei lernten sie auch, dass der Heilige Geist auf die 12 Jünger herabgekommen sei - und sie lernten es so, als seien das tatsächlich alle gewesen, als seien nicht auch hier die anderen Freundinnen und Freunde Jesu im Wort "alle" unsichtbar geworden, wenn die Erzählung beginnt mit "Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war, waren alle am selben Ort."
Das Pfingstfest, was da gekommen war, ist das Wochenfest, sieben Wochen und einen Tag nach Pessach, ein Ernte- und Pilgerfest, an dem zu Jesu Zeit schon zugleich der Tag gefeiert wurde, an dem Mose auf dem Sinai von Gott die Tora empfing. Man kann also als Lernziel für dieses Fest festhalten: Die Geistkraft Gottes eröffnet einen Zugang zu Gott, so wie die Tora. Sie erleuchtet die Jesusgläubigen so, wie Gottes Glanz sich auf Moses' Gesicht widerspiegelte, so dass es das Volk blendete.
Aber auch wenn das gut ist zu wissen, so bleibt es doch ein abstraktes und äußerliches Glaubenswissen. Zudem kann es den Verdacht der Willkür nicht ganz beseitigen: Warum sollte Gottes Geist sich auf den einen niederlassen, auf den anderen nicht?
Wie uns die Geschichte vom Pfingstfest der Jesusgläubigen nach deren Erfahrung seines Lebendigseins erzählt wird, ist es eben das: eine Geschichte. Sie bringt ins Wort, was so schwer zu beschreiben ist und die Gefahr mit sich bringt, dass man nur große, hohle Worte benutzt. Und wie bei allen Geschichten von Gott und den Menschen kann man aus ihr nicht herauslesen, wie Gott sich zeigen wollte, aber man kann an ihr sehen, wie Menschen Gott erkannt haben, oder erahnt.
Wenn sie erzählten: Da waren Feuerzungen, dann erzählten sie von Gottes Gegenwart in lodernder Lebendigkeit - wie bei Mose am Dornbusch. Sie erzählten, dass sich ihnen etwas erschlossen hatte vom Leben und vom Tod und von Gott hinter allem. Sie erzählten vom Gefühl, dass alles gut war, dass sie hineingenommen waren in eine Lebenskraft, die nicht aus ihnen selber kamn, dass sie Teil von allem waren und wussten, es ist Gottes Atem, der alles verbindet und uns im Leben hält - und für den auch der Tod keine Grenze ist. Sie waren von der entsetzlichen Einsamkeit des Karfreitags hin zu der Ahnung gekommen, dass der Tod niemanden trennen konnte von Gott und Gottes Lebendigkeit - Jesus nicht und sie auch nicht.
Vielleicht waren sie zur Ostererfahrung gekommen, als sie in der Fürsorge dem toten Jesus gegenüber Gottes große Zärtlichkeit gespürt hatten. Vielleicht haben sie Jesu Gegenwart gespürt, als sie mit seinen Worten das Brot und den Wein teilten, und dabei auch gespürt, dass das das gleiche war, seine Gegenwart und die Gegenwart Gottes, die alles bewahrt. Vielleicht haben sie im Erzählen seiner Geschichten gemerkt, wie unmittelbar er aus Gottvertrauen gelebt hatte, und sich dem gleichen Vertrauen überlassen. Vielleicht haben sie erlebt, dass die Erfahrungen, die sie mit ihm vor dem Karfreitag gemacht hatten, sie weitertrugen: Die Erfahrung, satt zu werden, die Erfahrung, heil zu werden, die Erfahrung, dass es genug für alle gibt, die Erfahrung, dass Schuld vergeben werden kann, und in dem allen: die Erfahrung, dass Gewalt und Vernichtung nicht das letzte Wort haben. Und dann kam der Moment, in dem sich ihnen der Himmel öffnete und Gottes große Gegenwart sich ihnen erschloss, in ihnen innig aufleuchtete, sie umhüllte und sie mit unumstößlicher Gewissheit wussten: Alles Lebendige lebt aus Gott, und Gott bewahrt das Leben auch im Sterben und über das Sterben hinaus. So einfach ist das und so schwer in Worte zu fassen, die nicht zu groß sind und darum nicht mehr leben.
Religion braucht Ordnung und Regeln, weil sie mit Menschen zu tun hat, die offen und verletzlich sind - wo nur unkontrollierbare Ekstase ist, ist die Gefahr von Übergriffigkeit und spirituellem Missbrauch sehr hoch. Aber Glauben ist mehr als Regeln zu befolgen und Wissen zu erwerben. Und die heilige Geistkraft, Gottes Lebensatem ist nicht auf festgefügte Kleidungsvorschriften, Sprachspiele und Rituale zu begrenzen, sie wird oft genug überhaupt nicht mehr darin erahnbar - wie sonst könnte die Feier von Gottes Gegenwärtigkeit als distanziert, langweilig und bedeutungslos erlebt werden?
Von so umstürzenden Gotteserfahrungen, wie sie in der Pfingstgeschichte erzählt werden, ist wohl besser zu singen als zu sprechen, und im Nachklang, in der inneren Resonanz vielleicht etwas zu spüren von Lebendigkeit, Verbundenheit und Aufgehobensein: Das sind dann wohl gesegnete Pfingsten.
Pfingstsequenz: Komm herab, o Lebenskraft
Pfingshymnus: Komm Geistkraft, die das All belebt
Pfingstlied: Wo Gottes heil'ger Atem weht