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Zum Fürbittgebet in Zeiten des Krieges

Datum:
Sa. 5. März 2022
Von:
Annette Jantzen

Wie können wir beten, wenn Gott doch nicht den Gewalttätern in den Arm fällt? 

Wie beten, wenn man das Wunder der Versöhnung erbitten will, aber angesichts der Abgründe der menschlichen Geschichte nicht mehr daran glauben kann, dass Gott lenkend in die Geschichte eingreift? Wagt das Fürbittgebet zu wenig, wenn es ein merkliches und eindeutiges Eingreifen Gottes gar nicht mehr erbittet? 

"Ich glaube eher, dass es die intellektuell redlichere Form des Fürbittgebets wäre, wenn man anonsten auch kein magisches Weltbild pflegt. Und dieses Beten ist ja nicht machtlos: Es fordert Gottes Gottsein umso mehr ein, weil im Gebet selbst die Erfahrung des Schweigens Gottes mitschwingt. Es entlässt Gott nicht aus der Sorge um diese gefährdete Welt, die in eine große Freiheit gestellt ist, von der menschlichen bis zur evolutionären. Das Gebet wagt, alle Übel zu benennen und spart nicht das aus, was Gott offensichtlich ohnehin nicht ändern kann oder will. [...]

Dennoch: Solidarität allein nützt niemandem. Solidarisches Benennen allein ist zu wenig. Es braucht das Beharren darauf, dass Gott beteiligt ist im Leiden wie an der Hoffnung. Es braucht das Beharren darauf, dass es eine Hoffnung gibt für eine hoffnungslos scheinende Leiderfahrung, auch wenn diese Hoffnung leise und gebrochen daherkommt und nicht triumphierend das Leid übergeht. Es braucht das unbedingte Beharren darauf, dass diese Leiderfahrungen im Raum des Fürbittgebets in einen Horizont gestellt werden, der dem Leid nicht das letzte Wort lassen wird.

Ob solches Gebet wirkt, wäre die falsche Frage. Es erkennt die eigene Begrenztheit an und das Schweigen Gottes auch. Und es lässt sich nicht davon abbringen, weiter die Not der Welt ins Wort zu bringen. Alleine das Ins-Wort-Bringen und Gott dabei anzusprechen, bedeutet entscheidend mehr als bloße Solidarität, nämlich Solidarität vor Gott und mit Gott als Adressat*in. [...]

Das Füreinander-Einstehen in Solidarität und im Horizont Gottes kann [...] noch einmal Kraft gewinnen aus einer geweiteten Gottesvorstellung: Wenn zum Beispiel die Macht und Verwundbarkeit des Mutterseins als Symbol für Gott begriffen wird oder die Geistkraft Gottes als mitfühlendes, belebendes und befreiendes Nahen und Vorüberziehen Gottes erwartet wird, dann öffnen sich auch für das Fürbittgebet neue Möglichkeiten, Anderes zu erbitten als ein Handeln der Betenden selbst: Dann könnte das Fürbittgebet einen Raum öffnen für die solidarische Bitte trotz eigener Verstrickung in Schuldzusammenhänge, für die Anrufung Gottes als der letzten Instanz, die die Würde derer verbürgt, die keine Stimme haben, für die Hoffnung gegen den Augenschein, dass die Sanftheit Gottesletztlich die menschliche Gewalt überwinden helfe." 

Annette Jantzen, in: Gotteswort, weiblich. Wie heute zu Gott sprechen? Gebete, Psalmen und Lieder, Freiburg 2022, S. 101-104.