Den Anfang neu einfangen … „nach Corona“ …

Impuls für Juni von P. Dr. Albert Altenähr OSB, Abtei Kornelimünster

Himmel (c) privat
Himmel
Datum:
Di. 19. Mai 2020
Von:
Ordensbüro

Das Corona-Virus hat alle Ebenen des öffentlichen und privaten Lebens mit seinen Bann-Ansprüchen verunsichert. Nahezu nichts der gewohnten Ordnungen und Abläufe versteht sich mehr oder weniger noch „von selbst“.

BildPaterAlbert
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Die Kirche ist nicht weniger betroffen als die Welt. Ihr zentraler Vollzug, die offene / öffentliche Feier des gemeinsamen Mahls, die Messe, war zeitweise gar nicht möglich, - jetzt aktuell nur mit großen Einschränkungen. Bricht da nicht sehr viel „Kirche“, ja vielleicht sogar „die Kirche überhaupt“ zusammen? Und wenn schon nicht „die Kirche“, dann aber vielleicht die Gemeinde, deren Kirche weniger und weniger mit Eucharistiefeiern „bespielt“ wird? Ein Sturm fegt über die Welt (… und die Kirche). Seine Folge-Spuren: Brüche, Zusammenbrüche, Abbrüche, … Verwüstung. Die Frage ist lebendig: „Wo bist du, Gott? Wohin führst du uns?“

Wenn ich mein Christ- und Mönchsein ernst nehme, dann wird man mir erlauben müssen, dass ich in das Deute-Buch meines Lebens schaue, um Ansätze für mögliche Antworten zu finden, … in die Heilige Schrift. 

Da gibt es die Stürme auf dem See Genesaret. Petrus wird gerufen, aus dem Boot auszusteigen (Mt 14,22-33). Jesus schläft bei der stürmischen Überfahrt, und gebietet dann dem Sturm zu schweigen (Mt 8,23-27). Das Pfingsten der Apostelgeschichte ist ein Sturm- und Feuer-Geschehen (Apg 2,1-3), und es ist die Geburtsstunde der Kirche. Bei Elija ist Jahwe weder in Feuer, Sturm, noch Erdbeben. Danach ein sanfter, verschwebender Hauch und ein Auftrag in die Zukunft (1 Kön 19,11-16). 

Stürme haben offenbar „was“ - und nicht nur zerstörerische Kräfte.

In den Tagen dieser Gedanken feierten wir Mönche das Gedächtnis des ägyptischen Mönchsvaters Pachomius (15. Mai), der die Wüsteneinsiedler zu Mönchsgemeinschaften zusammenführte. Er ist so gewissermaßen der Urvater der Klöster1. Im Tagesgebet finde ich den Satz: „Gib auch uns die Gnade, vom Brot deines Wortes zu leben, das unserem Geist Klarheit gibt und unserem Herzen Festigkeit verleiht.“ Ich stutze, in welch positiver Einseitigkeit hier vom Brot deines Wortes die Rede ist. Von der Eucharistie ist in dieser Oration nicht die Rede. Will uns die Kirche hier ganz bewusst auf die Heilige Schrift als saft- und kraftvolle Quelle der Gottesbeziehung aufmerksam machen? … vielleicht sogar in einer Korrektur einer zu einseitigen Eucharistiebetonung unserer allgemein- und auch ordens-christlichen Frömmigkeit? Wie weit leben wir wirklich aus der Heiligen Schrift? Sind z.B. Wort-Gottes-Feiern bloße Notstopfen, minderen Wertes und zweite Wahl, wenn denn eine Messe nicht stattfinden kann? 

Die strengen Corona-Regeln für Gottesdienste können hier ein konkreter und griffiger Ansatz zu der Frage sein, ob unsere Wertschätzung des Wortes Gottes wirklich tief, fruchtbar und lebenstragend ist. Der Christ lebt nicht vom Brot der Eucharistie allein, sondern von jedem Wort der Schrift, das er wirklich in sich aufnimmt. Noch einmal gefragt: Leben wir wirklich in der Bibel und aus ihr?

Bewusstes Leben aus dem Wort und mit Worten öffnet dem Glaubenden Freiheit und Weite. Worte sind nie ein-deutig. In jedem Wort verbergen sich Geschichte und Geschichten, Nuancierungen, die hier sofort mitgehört werden, dort aber vollkommen fern und fremd sind. Sprache ist so zwar eine Quelle von Nicht- und Missverständnissen, zugleich aber auch ein Tor für tieferes Nachsinnen und Verstehen. Wer Worte ins einfach Einfache und Klare zurückschneiden will, verkennt die Vielschichtigkeit des Lebens und macht es ärmer. Er engt seinen Horizont ein.

Die schillernde Offenheit der Sprache ist eine der Quellen von Poesie und Mystik2. Beide – so wird oft behauptet – seien unserer durchtechnisierten Zeit eher fremd und dem Otto-Normal-Verbraucher nicht vermittelbar. Das mag stimmen, aber müsste einen denkenden Menschen erschrecken, und muss -, ja, braucht und darf nicht das letzte Wort über unser Menschsein sein. Es schneidet den Menschen von seiner Sehnsucht, seiner ahnenden Voraus-Sicht, seinem Suchen und Streben ab.

Gott würde es zu einem factum brutum machen, das es gibt oder nicht gibt, das aber so oder so keinerlei Beziehung und Bedeutung für den Menschen hat. 

Der Zufall – der wohl kein Zufall ist – will es, dass das erste Tätigkeitswort der Heiligen Schrift in den griechischen Übersetzungen das Verbum poiein ist, von dem sich das Wort Poesie herleitet. „Im Anfang erschuf / machte / dichtete Gott Himmel und Erde ...“ (Gen 1,1). Gott ist ein Dichter! Daraus folgt alles, Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit.

Ob sich von hier aus eine Neuevangelisierung der Kirche angehen lässt? Eine (mehr) poetische Kirche, - die Welt und die Kirche: ein großes Gedicht. Das hätte / das hat was!

Vor einem Jahr schrieb ich folgende Zeilen. Ich darf sie anderen sagen, … und ich muss sie sogar mir sagen, was vielleicht sogar noch schwieriger ist.

Gott ist 
ein Poet

Du bist
sein Gedicht

sagte der Lehrer ...
und nach einer Pause
fügte er hinzu

in Schönschrift

und setzte 
ein Rufzeichen

P. Albert Altenähr OSB

1Vgl. https://www.heiligenlexikon.de/BiographienP/Pachomius.htm

2Sehr lesenswert: Christoph Paul Hartmann, Ist die Mystik die Zukunft des Glaubens? Poetische Einsichten aus dem Mittelalter 
https://www.katholisch.de/artikel/24733-ist-die-mystik-die-zukunft-des-glaubens?fbclid=IwAR353GZYIhA5cInz44Ej_3eUDMOMlzJ-zCblPgUiPh_R6Ha5nN8ceIDeZ9g