In diesem Jahr habe ich „Das denkende Herz“ gelesen, die Tagebuchaufzeichnungen von Etty Hillesum. Die junge, niederländische Jüdin beschreibt darin einen Weg der Menschwerdung gerade in der furchtbaren Zeit des Nationalsozialismus. Sie starb 1943 mit 29 Jahren in Auschwitz.
Etty lässt uns teilhaben an ihrem Reifungsweg und sie erzählt, wie sie, aufgewachsen ohne Glauben oder religiöse Basis, in eine Beziehung zu Gott hineinwächst – irgendwie ganz undogmatisch und natürlich. Sie ist gefunden worden, wie – darüber schweigt sie.
Sie lernt in sich „hineinzuhorchen“, nicht nur zur psychologischen Analyse, sondern tiefer, existentieller:
„Und lieben und hineinhorchen in sich und andere und forschen nach den Zusammenhängen in diesem Leben und nach Dir. Und wenn ich sage, dass ich hineinhorche, dann ist es eigentlich Gott, der in mich hineinhorcht. Das Wesentlichste und Tiefste in mir horcht auf das Wesentlichste und Tiefste in dem anderen, Gott horcht auf Gott“ (DDH 176)
Sie erlebt immer wieder ganz alltägliche Augenblicke der Kontaktaufnahme zu Gott, etwa wenn sie sich spontan im Bad auf der Matte niederknien „muss“.
Sehr tief verbunden hat sie sich dem hilflosen Gott gefühlt, von dem sie keine „Leistungen“ erwartet, wo sie eher seine Solidarität mit allen Hilflosen spürt und ihm ihre Hilfe anbietet:
„Ich will dir helfen, Gott, dass du mich nicht verlässt, aber ich kann mich im vornherein für nichts verbürgen. Nur das eine wird mir immer deutlicher: dass du uns nicht helfen kannst, sondern, dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns letzten Endes selbst. Es ist das einzige, auf das es ankommt: ein Stück von dir in uns selbst zu retten, Gott. Und vielleicht können wir mithelfen, dich in den gequälten Herzen der anderen Menschen auferstehen zu lassen.
Ja, mein Gott, an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie gehören nun mal zu diesem Leben… Und mit fast jedem Herzschlag wird mir klarer, dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen und einen Wohnsitz in unserm Innern bis zum Letzten verteidigen müssen“ (DDH 149 f)
Etty versteht, dass Gott sich ihr in seiner Hilflosigkeit anvertraut, das ist für sie Gabe und Aufgabe.
An Weihnachten feiern wir die Hilflosigkeit Gottes in dem Kind, dass in Bethlehem geboren wurde und das auch in uns geboren werden will. Wir sind eingeladen, dieses Geschenk anzunehmen, für uns und für die anderen.
Schw. Juliane Maria Feithen SPSF