Aachen, 12. Juni. Liebe Schwestern und Brüder, liebe Pilgerinnen und Pilger,
es gibt eine Situation, die wir alle kennen: Ich möchte eine Freundin besuchen und höre: Sie ist nicht da. Ich rufe einen Handwerker an und bekomme den Bescheid: Er ist zur Zeit nicht im Betrieb. Ärgerlich, aber ganz normal. Wenn ich dagegen auf unseren Friedhof gehe, bin ich
sicher: Meine vor einigen Tagen verstorbene Mitschwester liegt immer noch dort. Ich bekomme sicher nicht die Auskunft: Sie ist nicht mehr hier.
Doch genau diese Auskunft bekommen die Frauen, als sie am Ostermorgen zum Grab Jesu
kommen. Er ist nicht da oder besser gesagt: Er ist nicht mehr da. Was noch da ist, ist sein
Grabtuch. Dieses Grabtuch bezeugt beides:
- Er war hier, denn er war tot - ganz und gar tot - das beweisen die drei Tage
- Er ist jetzt nicht mehr hier.
Die Verkündigung des leeren Grabes gehört unabdingbar zur Botschaft unseres Glaubens. Es hat Theologen gegeben, die meinten, es sei doch im Grunde egal, ob das Grab Jesu voll oder leer ist, denn selbst wenn Jesus im Grab geblieben wäre, könnte er geistig von Gott in den Himmel erhoben worden und in unseren Glauben auferstanden sein.
Aber genau das ist der springende Punkt: Jesus ist nicht „geistig“ auferstanden, sondern als
ganzer Mensch, d.h. mit Leib und Seele. Darauf beruht unsere eigene Hoffnung auf
Auferstehung.
Eines ist sicher: Wenn Jesus im Grab geblieben wäre, hätten die Gegner der frühen christlichen Gemeinde sicher höhnisch darauf hingewiesen, dass doch jeder nachprüfen kann, dass er tot im Grab liegt. Das aber finden wir nirgends, das leere Grab ist offenbar unbestritten, wir finden nur den Verdacht, die Jünger hätten seinen Leichnam gestohlen - das schon bei Matthäus im Neuen Testament - und später die Theorie, Jesus wäre nur scheintot gewesen und aus eigener Kraft aus dem Grab geflohen. Doch die Botschaft des Engels an Maria Magdalena, aber letztlich an uns alle, lautet: „Er ist auferstanden“ (Mt 28,6). Jesus Christus, der ohne jeden Grund Ermordete, der von uns Menschen ans Kreuz Geschlagene ist nicht mehr dort, wohin ihn unsere Sünde gebracht hat, das Grab konnte ihn nicht halten, er hat den Tod gesprengt und ist auferstanden. Dafür ist das leere Grab ein Zeichen, wenn auch kein Beweis, der alle überzeugen wird.
Was glauben wir Christen, worauf weist uns das Grabtuch hin, das wir in Kornelimünster
verehren? Hier hilft uns das Motto dieser Heiligtumsfahrt: „Für wen haltet ihr mich?“ Jesus
selbst stellt uns vor diese Frage, die jeder und jede von uns immer wieder für sich beantworten muss. Die für mich wichtigste Antwort auf diese Frage findet sich wieder in einer Frage, nämlich der Frage des Engels am leeren Grab Jesu: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“ Jesus mag alles mögliche gewesen sein, ein Wundertäter, ein Prophet, der verheißene Messias, der Retter Israels, der Menschensohn usw. Das alles sind wichtige Titel, die uns helfen zu verstehen, wer Jesus ist. Aber ich glaube, für uns heute ist die wichtigste Aussage, dass er der Lebendige ist, ja dass er das Leben in Person ist.
Oft wird in unserer Gesellschaft, aber auch in der Kirche, gesagt, dass Jesus ein Gott begnadeter Mensch war, dessen Botschaft uns auch heute noch etwas zu sagen hat. Das ist nicht falsch, aber viel zu wenig, denn das würde auch von Franziskus oder Mutter Teresa gelten! Jesus ist der Lebendige und zwar nicht nur damals, als er den Jüngern erschien, sondern heute am 12. Juni 2023, er ist genauso lebendig wie Sie und ich, ich möchte sogar sagen, er ist hundertmal lebendiger als wir - nein nicht 100mal, sondern 1000mal, nein eine Milliarde mal lebendiger als wir. Das sagt er selbst im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, doch siehe, ich lebe in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt“ (Off 1,17f).
Gut werden Sie sagen, aber lebendig sind auch Franziskus und Mutter Teresa, sie sind Heilige und leben im Himmel bei Gott. - Das stimmt, aber Jesus ist anders lebendig als unsere sonstigen Verstorbenen, er ist mit seinem Leib aus dem Grab auferstanden, davon zeugt das zurückgelassene Grabtuch. Und er ist kein Abwesender, sondern „bei uns alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20) - im Wort der Heiligen Schrift, in den Sakramenten, hier in dieser Andacht und in jedem Menschen, der meine Hilfe braucht.
Menschen kommen zu den Gräbern ihrer Toten; Menschen verehren die Gräber der Heiligen. Rom ist deshalb die Heilige Stadt, weil dort Petrus und Paulus begraben liegen. Ein Grab Jesu wurde nie verehrt. - Und die Grabeskirche? werden Sie fragen. - Sie ist eine Kirche über einem leeren Grab! - Und Jesu Grabtuch? - Ja wir verehren es, aber es ist nur ein Zeichen. Jesus ist der Lebendige, der mitten unter uns ist, ihm gilt eigentlich unsere Verehrung. Er fragt uns: „Für wen haltet ihr mich?“ Was antworten wir? Du bist die Lebendige. Du warst tot, gestorben für uns, dein Grabtuch bezeugt es, doch du bist auferstanden und jetzt für immer bei uns. Du bist der Lebendige, mach auch uns lebendig! Amen!
Äbtissin Sr. Christiana Reemts OSB