Endlich Urlaub nach langer Zeit der Erwartung! So machte ich mich im Sommer auf die Reise - in Vorfreude auf das Wiedersehen mit meiner muslimischen Freundin.
Schon seit Jahrzehnten kennen und schätzen wir uns. Gemeinsam verbrachte Zeiten sind immer so kostbar! Und ich lerne viel von ihr. Als Muslimin hat sie eine sehr vertrauensvolle Beziehung zu Gott. Das äußert sich vor allem in ihrem Engagement für die Menschen. Selbstverständlich setzt sie sich ein, wo immer jemand bedürftig ist. Das habe sie von ihrer Mutter gelernt, erzählt sie mir. Die habe in Teheran bei Einkäufen dem Metzger und dem Bäcker immer etwas Geld extra gegeben. „Nehmen Sie das für die, die es brauchen können“, war ihr diskreter Kommentar. Das hat meine Freundin von ihr übernommen: Großherzigkeit, Toleranz und ein ganz weites Herz für die Menschen. Viele Jahre lang hat sie ein Kopftuch getragen – freiwillig. Doch als es in ihrem Beruf als Ärztin schwierig wurde mit dem Kopftuch, ließ sie es weg. „Alles, was nicht dem Leben dient, ist auch nicht im Sinne Gottes“, so ihre Einstellung, die so viel innere Freiheit erkennen lässt.
Meine Freundin zögert nicht, mich am Sonntag zum Gottesdienst zu begleiten. Wo gläubige Menschen zum Gebet zusammenkommen, da fühlt auch sie sich wohl. Am Eingang des Domes fallen uns Schilder auf, die auf etliche Verhaltensregeln aufmerksam machen: Im Gotteshaus soll man nicht essen oder trinken, nicht fotografieren oder telefonieren, nicht laut reden etc. Meine Freundin nimmt das alles wahr und setzt sich still mit mir in eine Bank. Nach kurzer Zeit sagt sie leise: „Weißt du, in einer Moschee ist das ganz anders. Da weißt du, dass du ins Haus deines Vaters kommst, und du darfst dich deshalb geben, wie du eben bist. Du kannst dich mit anderen unterhalten, essen, spielen, schlafen oder auch beten. Das alles darf sein.“ Diese Bemerkung macht mich betroffen und nachdenklich.
Ich durfte einige Tage mit ihr und ihrer Familie verbringen. Auch ihr Mann und ihre beiden erwachsenen Töchter nehmen mich immer mit großer Herzlichkeit und Gastfreundschaft auf. Beide Töchter haben sich für den Arztberuf entschieden in den Fußstapfen ihrer Eltern. Meine Freundin und ihr Mann haben vor kurzem die gemeinsame Landarztpraxis aufgegeben. Jetzt engagieren sie sich anders: für ukrainische Flüchtlinge, in der Tafel und in einer Fahrradreparaturwerkstatt, in der gespendete Fahrräder für Bedürftige hergerichtet werden.
Es tat so gut, bei diesen Freunden für ein paar gemeinsame Urlaubstage zu Hause zu sein. Auf dem Papier sind sie keine Christen, und doch leben sie mir so lebendig vor, was Jesus meinte mit seinem Liebesgebot. Dafür bin ich zutiefst dankbar.
Sr. Martina Kohler SSpS