DER TOTE IM GARTEN

Folge 5 des Blogs "WELTEN - SPRÜNGE. Eifel, Amazonas und zurück" von Friederike Peters

Blumen für die Toten (c) Friederike Peters
Blumen für die Toten
Datum:
Mi. 28. Okt. 2020
Von:
Friederike Peters

Ich bin in der Eifel, räume rund um Haus und Garten auf. Da muss so Einiges weg.

Grabstein im Garten (c) Friederike Peters
Grabstein im Garten

Ich dreh einen schwarzen Stein um, der mit einem roten Farbfleck verschmiert ist, wahrscheinlich vom letzten Anstrich des Dachvorsprungs. Sieht aus wie dickes Blut. Die Unterseite ist ganz glatt. Goldene Buchstaben glänzen auch durch den Dreck noch: AEL PROB, steht da. Ich hab das Bruchstück eines Grabsteins vor den Füßen.
Hier ist doch kein Friedhof! Hier ist mein Garten.
Wer mag der Tote gewesen sein? Welcher Name verbirgt sich hinter den Buchstaben? Wer hat das Bruchstück hier hingebracht? Wollte da jemand das Andenken an diesen Toten doch nicht einfach wegwerfen, als die Grabstelle auf dem Friedhof an den Nächsten vermietet wurde? Jetzt liegt er da, der Stein, im Herbstgarten und lässt mich an die vielen Toten aus meinem Leben denken, die hier nicht liegen.

Einige liegen in den Gärten am Napofluss neben Bananen oder Maniokpflanzen. Die Naporuna vom Amazonas beerdigen ihre Toten meistens im Garten oder direkt unter ihrem Stelzenhaus. Die toten Familienangehörigen sollen weiter dabei sein, mitleben und die neuen Generationen schützen. Dazu ist es wichtig, in Frieden mit ihnen zu leben oder Frieden mit ihnen zu machen, wenn der im Leben nicht gelingen konnte.

Während mein Pfarrerkollege und ich im November die Menschen und Gräber in den Dörfern am Fluss besuchen und er sie segnet, beobachte ich die Kinder. Auf dem Weg reißen sie die lilafarbenen langen Blätter eines Zierstrauches ab und spalten sie in zwei Bänder. Daraus werden runde wunderschöne Blumen geflochten. "Das sind Botschaften. Die schicken wir an die Toten, dass sie uns nicht vergessen," erklären sie mir. "Wie eine WhatsApp-Nachricht!", sage ich und wir lachen. "Ja, genau!" Sie bringen es mir bei und nach einigen Versuchen kann auch ich Grüße an die Toten schicken - durch die Blume. Meinerseits gebe ich die Kunst gerne wieder an andere Kinder in anderen Dörfern weiter, wo sie in Vergessenheit geraten ist. Sofort erinnern sich die Erwachsenen und wir flechten gemeinsam Botschaften an die Toten, erinnern uns an sie, erzählen aus ihrem Leben und von ihrem Sterben. Alle legen wir die Blumen auf das schon in den letzten Tagen von Urwaldpflanzen und Tieren gesäuberte Grab. Wer möchte, kann laut dazu seine Gedanken sagen, Bitten oder Dank. Abschließend werden Lebende und Tote großzügig mit Wasser gesegnet.
Die Erwachsenen haben Kerzen auf dem Grab angezündet. Während alle nach Hause gehen, um zusammen zu essen, brennen die Kerzen nach unten und lassen nur die "Tränen der Toten" zurück. Diese Tränen aus Wachs werden später im Küchenfeuer verbrannt. Die Toten vermissen manchmal auch uns. Wenn wir in Frieden mit ihnen leben, sind sie Wärme, Licht, Schutz und unsere lebendige Verbindung mit der anderen Seite des Lebens - auch in der Eifel - - -