Meine Mit-Mutter, das ist die Mutter meines Patenkindes am Napofluss, legt sich eine komplette Wildschweinleber auf den Teller, beginnt, sie in Stücke zu teilen, schiebt sie sich nach und nach in den Mund und genießt sie sichtlich. "Sasi kani! Ich faste gerade! Ich kann dir nichts davon mitgeben," sagt sie mir.
Wieder so ein Satz, den ich zwar verstehe und doch nicht verstehe. Sie sagt ihn zuerst auf Runashimi, ihre Muttersprache, dann auf Spanisch. Ich versteh die Worte, aber es kommt mir doch merkwürdig vor, in welcher Menge und mit welchem Genuss sie isst und mir zugleich voll Überzeugung sagt, dass sie fastet.
Eine Woche im Monat lebe ich mir ihrer Familie in ihrem Haus, während ich im Dorf für die Fernschule den Präsenzunterricht halte. In der Schule gebe ich den Unterricht, im Haus muss ich so Einiges lernen, zum Beispiel, was es bedeutet, wenn sie sagt, sie fastet.
Ähnlich geht es mir immer wieder, wenn eine Frau in den ersten vierzig Tagen nach der Geburt ihres Kindes sagt, sie müsse "Diät" halten und ihr Mann hätte schon das Huhn geschlachtet. Sie wird es alleine verzehren und ein paar Tage später wird ihre Mutter oder eine andere Verwandte wieder ein Huhn bringen, dann wieder ihr Mann. Alle Frauen lieben ihre Vierzig-Tage-Diät nach der Geburt.
Gut, dass ich meine Mit-Mutter solche Sachen auch fragen kann. Sie wundert sich mal wieder darüber, dass ich so klare Sachen nicht verstehe. Dann erklärt sie es mir in einfachen Worten: "Fasten" bedeutet, sie hält eine bestimmte "Diät" ein, die ihr vom Schamanen als Teil des Heilungswegs verordnet wurde. Der Natur- und Geistheiler, den es heute nur noch selten gibt, der ursprünglich aber in jedem Dorf wohnte, diagnostiziert eine Krankheit und verordnet ein "Fasten". Das besteht aus Verboten und Geboten, die während mehrerer Tage oder Wochen den Körper von unheilstiftenden Kräften reinigen und mit neuen Kräften stärken sollen. Meist sind scharfe Sachen verboten wie Chili und scharfte Kräuter, Salz, Zucker, rotes Fleisch, Sex und Alkohol. Geboten sind je nach Krankheit weißes Fleisch, Leber, Fisch, Heilkräuter, bestimmte Früchte. Fasten kann dann heißen, endlich einmal einen großen Fisch allein essen dürfen, den die Mutter sonst an die ganze Familie verteilen würde. Fastenzeit heißt für Frauen, die gerade geboren haben, auch, vierzig Tage nicht auf dem Feld arbeiten dürfen, und ihre Diät besteht aus einem Huhn alle paar Tage - für sie allein.
Am Ende der Fastentage wird der Schamane in einer nächtlichen Zeremonie die geistliche Heilung vornehmen. Körper, Geist, Seele können ganzheitlich wieder heil werden. Falls die Krankheit zu stark ist, kann der Schamane eine weitere Fastenzeit vorschreiben oder aber den Kranken an einen anderen Schamanen verweisen, der mehr innere Kraft besitzt gegen diese spezielle Krankheit.
Fasten als Opfer, Strafe, Wiedergutmachung, Anhäufung von guten Tagen oder nicht gegessenen Kalorien ist sinn-los im Amazonaswald. Die Naporuna haben ein Sprichwort zum Fasten:
SASINA RANTI - MIKUNA KANKI
WENN ES ZU ESSEN GIBT, ISS - ANSONSTEN FASTE