Es ist Sonntag, Mai 2021. Im Radio läuft ein kurzer Bericht über den Ökumenischen Kirchentag, der Politik und Glauben wieder zusammen sehen will.
Das Handy blinkt und sie schicken mir ein Video von ihrem Sonntagsgottesdienst. Meine Freundin, die Katechetin Adriana (siehe auch Nr. 35) leitet ihn. Sie stehen im Kreis vor dem Werkstor und singen auf Naporunashimi ein Morgenlied, danken Gott für seine Anwesenheit und Fürsorge für alles was lebt. Hier lebt der Amazonas-Urwald, zerschnitten von der Straße zum Erdölcamp. Sie singen aus dem Liederheft der Naporunagemeinden, das ich so gut kenne. Ich kann nicht anders, als im Geist mitzusingen. Wir bitten Gott um Stärke, Mut und Geist. Den brauchen sie dringend hier. Die ganze Woche schon springt auch mein Geist zwischen meinem Schreibtisch in der Eifel und dem Camp im Paradies hin und her. Ihr Dorf heißt "El Edén" - "Das Paradies".
Heute ist der siebte Tag. Seitdem leben Männer, Frauen und Kinder unter Plastikplanen und Blätterhütten vor dem Camp-Tor der staatlichen Erdölfirma Petroecuador. Sie haben zum gewaltfreien Protest aufgerufen. Ihre Blockade hindert die vom Hafen kommenden Lastwagen, Material, Maschinen und Diesel für die Ölförderung in das Camp zu bringen.
Ecuador fördert nun schon seit mehr als 20 Jahren Erdöl aus diesem Boden. Bis vor zwei Jahren galt dafür ein zwischen Dorf und Erdölfirma ausgehandelter Vertrag, der zwar oft nicht eingehalten wurde, aber den Menschen zumindest eine teilweise Entschädigung für die auf ihrem Land verursachten Schäden und Verschmutzungen gewährte. Seitdem weigert sich die Erdölfirma, einen neuen Vertrag zu unterschreiben. Trotzdem wird weitergearbeitet, ohne Erlaubnis, ohne Vertrag. Das Land, auf dem die Erdölarbeiter stehen, arbeiten und leben gehört dem Dorf. Papier und Siegel geben ihnen Recht. Aber das Recht sagt auch, dass das Öl unter dem Boden der Regierung gehört. Also muss verhandelt werden, zu welchem Preis und unter welchen Bedingungen es genutzt werden kann. Laut Petroecuador werden hier täglich 28.462 Fässer Öl aus dem Boden geholt. Außerdem werden 61.192 Fässer Öl aus den benachbarten Ölfeldern in Edén bearbeitet. Man trennt Wasser, Gas und Rohöl. Das verarbeitete Wasser wird in Edén in den Boden gespritzt, das Methangas in Edén abgefackelt. Bei einem Preis von aktuell 65 US$ pro Fass ermöglicht das Land von El Edén dem Staat einen Bruttogewinn von fast 6 Millionen US$ täglich, jeden Tag, auch an diesem Sonntag. Die Gemeinde hat seit zwei Jahren nichts mehr davon. Die Verschmutzung geht weiter, die Abwässer des Camps werden in Moor und Lagune eingeleitet, illegal. Bis heute gibt es keine Trinkwasserleitungen in den Häusern, keine Abwasserklärung, fast keine Arbeitsplätze für Dorfbewohner. Internet gibt es nur im Camp und an einigen Nebenstellen des Camps. Jede Nachricht der Dorfbewohner wird also von den Informatikern des Camps mitgelesen, jedes Internet-Telefonat mitgehört. Mobile Telefonverbindung gibt es auf den Dächern einiger Häuser oder auf hohen Bäumen.
Am dritten Tag schickte die Erdölgesellschaft den Chef-Unterhändler, der für die Beziehungen zwischen Dorf und Petroecuador zuständig ist. Er nahm ihren Protest auf, versuchte zu beschwichtigen, versprach, in zwei Stunden mit einem Vorschlag der Ölgesellschaft zurückzukommen und wurde nicht mehr gesehen. Seitdem fliegen die Militärhubschrauber täglich mehrmals in Baumhöhe direkt über der Versammlung der Leute hin und her. Ecuador befindet sich im "Nationalen Ausnahmezustand" wegen COVID 19. Da hat das Militär noch mehr Möglichkeiten als sonst. Es ist außerdem zuständig für den Schutz der "strategischen Güter" Ecuadors, Erdöl ist eines davon. Und wer schützt die Menschen Ecuadors?
Adriana wird in einem Video gefragt, ob sie Angst hat wegen der Anwesenheit des Militärs. "Angst kann ich vor nichts haben, auch nicht vor den Militärs hier. Denn wir sind hier, um eine Lösung zu finden zwischen Petroecuador und der Dorfgemeinde. Nach fast zwei Jahren ohne Vertrag wollen wir einen neuen Vertrag, damit wir hier weiterleben können. Das ist unser Anliegen, das will unsere ganze Dorfgemeinschaft."
Kirchentag im Paradies - - -