Ein Jahr ist vorbei. Ein Jahr lang habe ich wöchentlich von meinen Welten-Sprüngen zwischen Ecuador und Deutschland, zwischen Amazonas und Eifel erzählt. Seit eineinhalb Jahren bin ich wieder zurück in Deutschland. Was bleibt?
Mein doppelter Blick ist längst zu einem Teil von mir geworden. Die Nachrichten aus Ecuador gehören genauso zu meinem Alltag wie die aus Deutschland. Ich erlebe es als große Chance, diese so einseitig globalisierte Welt von zwei und mehr Seiten ansehen zu können, und hoffe sehr, dieser Blick bleibt mir erhalten.
Was ist das eigentlich für eine Frage: Was bleibt?
Warum soll bei uns "westlichen" Menschen immer etwas bleiben?
Weil wir sonst tot sind, vergessen werden? Alles sinnlos ist? Zu schnell, zu kurz, zu wenig gelebt - bevor alles vorbei ist? Weil wir sonst nicht zeigen können, wie groß- und einzigartig mächtig unsere Zivilisation ist? Unsere Bauwerke und unser Müll überdauern die Zeiten, auch wenn wir selbst längst nicht mehr da sind.
Im fernen Westen am Napofluss, am Amazonas bleibt eigentlich nichts wie es war. Der Flusslauf ändert sich laufend, Holzhäuser verrotten mit der Zeit und werden vom Urwald überwuchert. Aus und auf Baumstümpfen wachsen neue Urwaldriesen, Insektennester, Fledermaushöhlen. Gruppen von Fruchtbäumen, die man irgendwo im Urwald findet, lassen erkennen, dass hier einmal Menschen ihren Siedlungsplatz hatten. Sie dienen den Affen als Futterparadies - bis wieder Menschen kommen. Essgeschirr aus Blättern und Holz wird nach Gebrauch in den Fluss geworfen. Familien leben in Kindern und Enkeln weiter. Die Mitmenschen, die von uns gehen, leben auf der anderen Seite der Welt weiter. Schamanen können von dort und hier aus die Grenzen überwinden. Geschichten und Geschichte werden mündlich weitererzählt, immer wieder neu ergänzt und an das heutige Leben angepasst. Archäologische Reste aus alten Zeiten findet man nur in der Keramik der Urnen, die jedoch nicht der Totenasche als Gehäuse dienen, sondern dem Kern der Lebensenergie, versammelt in den Knochen eines Menschen, der auf andere Weise weiterlebt.
Es gibt keinen Tod am Amazonas. Es gibt nicht dieses endgültige absolute Nicht-da-Sein, das uns Menschen europäischer Kulturen vor Augen steht. In der christlichen Kultur können wir an die Auferstehung glauben, die den Tod überwindet. Am Amazonas gibt es keinen Tod. Die Schöpfung wird dort erlebt und empfunden wie ein nie endender Weg, geschlängelt wie ein Fluss, niemals gradlinig. Was auch geschieht auf diesem Weg, es gibt immer einen Rest von Leben und aus diesem Rest entsteht neues, anderes Leben.
Dieses persönliche Er-Leben ist vielleicht das wichtigste Geschenk, das ich mitgebracht habe aus Amazonien in die Eifel. Die Art, wie wir auf den Tod sehen, ihn erfahren oder abwehren, beeinflusst unser ganzes Leben und Handeln.
Ich bin froh, hier in der Eifel gelandet zu sein, nah bei Feld, Wald und Wiese. Die Nähe zu den Menschen vor Ort wurde uns durch Corona oft schwer gemacht. Da kann noch viel wachsen. Da ist schon viel gewachsen. Immer wieder erlebe ich die Ähnlichkeit der Menschen aus dem Hinterland Ecuadors und dem Hinterbüsch der Eifel, ihre zähe Durchhaltekraft, ihre Nähe zu den Jahreszeiten der Schöpfung, ihr Festhalten am eigenen Sinn, der weiß, wie man zum Leben findet, ihr Wille zum Leben auch unter schwierigsten Umständen.
Zu guter Letzt bleibt - mein herzlicher Dank all denen, die diese Welten-Sprünge ermöglicht haben, insbesondere dem Fachbereich Weltkirche des Bistums Aachen.
Bei den Naporuna heißt heißt es zur Aufmunterung, beim Zuprosten und beim Zugehen auf etwas Neues: KAWSAYKAMA - AUF! HIN ZUM LEBEN!