Gegen Abend rufen sie an, die ganze Familie. Was machst du gerade? Was macht der Schnee in der Eifel? Eigentlich könnten wir doch jetzt kommen. Ja, gute Idee! Um zehn Uhr nachts sind sie hier. Es ist Silvester und wir laufen als Erstes in den Schnee hinaus. Knietief stapfen wir durch die Felder und sind begeistert. Dann kommt ein phantastisches Mitternachtsessen aus Mitgebrachtem und Vorhandenem, Brot und Wein, Käse und Saft. Das neue Jahr hat längst begonnen. Fühlt sich gut an, so eine kreative Spontanaktion, wie in meiner zweiten Heimat Ecuador. Da sind solche Aktionen Gewohnheit.
Ich komme zum Unterricht der Fernschule ins Dorf am Napofluss, 8. bis 13. Klasse. Vier Stunden Fahrt mit dem öffentlichen Boot habe ich bereits hinter mir. Deshalb fängt montags die Schule erst um zehn an. Eine Woche im Monat haben fünfzehn junge Erwachsene Präsenzunterricht, drei Wochen lernen sie allein aus Büchern und sollen die angesagten Hausaufgaben machen. Während dieser Woche wohne ich im Dorf. Ich bin die einzige Lehrerin der Fernschule in diesem Dorf. Innerhalb von fünf bis sechs Tagen müssen wir in den vier Hauptfächern weiterkommen, die Hausaufgaben besprechen, Klassenarbeiten machen und Projektunterricht durchführen.
Es ist elf Uhr und bis jetzt ist kein Schüler aufgetaucht. Da ich weiß, dass der Anfang oft nicht so läuft wie offiziell vorgesehen, warte ich weiter. Gegen halb zwölf mache ich eine Runde um den Platz und gehe im Dorfladen schon mal sehen, ob es Milch und Neuigkeiten gibt. Ja, die Grundschüler aus dem Nachbardorf seien auch nicht gekommen. Der Bürgermeister hat wiedermal kein Benzin für das Schulkanu geschickt. Außerdem hätte es im unteren Nachbardorf ein Sportfest gegeben und da sei bestimmt lange gefeiert worden.
Schule fällt heute aus! Gut!!! Jetzt kann ich tatsächlich noch heute den Rest der Klassenarbeiten nachsehen. Das hätte ich sonst nachts tun müssen.
Am Dienstag sind alle SchülerInnen da. Wir überlegen, wie wir den Montag nachholen können, denn die Aufgaben müssen so gut wie möglich erledigt werden. Kein Problem, alle haben Vorschläge. Die Gruppe, die als Projekt den Volleyballplatz mit weißen Linien versehen muss, macht das nachmittags, die Schülerin, die eine Arbeit neu schreiben muss, bleibt heute länger, die schwere Mathearbeit findet am Samstagmorgen statt. Alles klar!
Es hat Jahre gedauert, bis ich aus Erfahrung wusste, dass diese spontane Lebensanschauung und Haltung am Napofluss überlebensnotwendig sind und, dass sie funktionieren! Genau sie bringen konzentrierte gemeinsame Arbeitsanstrengung und kreative Ideen zutage, wie man mit dem, was man jetzt hat, jetzt machen kann zu einem guten Ergebnis kommt. Ungeahnte Möglichkeiten machen Leben möglich.
Corona und Lockdown machen uns Angst, lassen uns auf all das starren, was wir NICHT können, wissen, planen, reisen, haben, kaufen, tun - - -
Corona trifft Ecuador hart. Gesundheitssystem und Wirtschaft sind in keiner Weise in der Lage, die Pandemie abzufangen. Genügend Impfstoff wird es in Ecuador erst geben, nachdem alle Industrieländer sich selbst gut versorgt haben. Trotzdem gehen die Menschen auch im Angesicht von Armut und Tod meist gelassen mit der Krise um. Ihre Konzentration ist auf das Leben gerichtet: Wie können wir trotz und im Wahn-Sinn möglichst gut und nah am Leben bleiben?