„Das Bild vom ‚Gesicht zeigen‘ hat mich besonders geprägt“

Pfarrer Christoph Simonsen über ein Jahr #OutInChurch und seine Folgen

Christoph Simonsen (c) Bistum Aachen - Jari Wieschmann
Christoph Simonsen
Datum:
Di. 7. Feb. 2023
Von:
Stabsabteilung Kommunikation

Vor ungefähr einem Jahr ging eine Initiative von mehr als 500 queeren Menschen, die hauptberuflich oder ehrenamtlich in der römisch-katholischen Kirche tätig sind, mit einem kollektiven Coming-out und dem Manifest „#OutInChurch – Für eine Kirche ohne Angst“ in die Öffentlichkeit. In der begleitenden ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ wurden mehr als 100 Mitwirkende vorgestellt. Aus dem Bistum Aachen war Pfarrer Christoph Simsonsen von der Cityseelsorge Mönchengladbach von Anfang an mit dabei.

„99,5 Prozent der Reaktionen und Begegnungen von und mit queeren Menschen als auch deren Angehörigen waren in der Folge bestärkend und ermutigend.“ Aufgrund des großen öffentlichen Interesses wurde die Laufzeit der Doku von ursprünglich 45 auf dann 60 Minuten verlängert und zur besten Sendezeit nach der Tagesschau gezeigt. Auch nach einem Jahr ist Pfarrer Simonsen von der Wirkung der Initiative überzeugt: „Der Film hat in der Tat dafür gesorgt, dass das Thema endlich aus der tabuisierten Zone herausgekommen ist.“ Zudem sei die gewachsene Solidarität mit queeren Menschen ein Umstand, der nicht hoch genug wertgeschätzt werden könne. 

Als Initialzündung führt der 67-Jährige eine Aktion an, bei der sich im Frühjahr 2021 im Magazin der Süddeutschen Zeitung insgesamt 185 Schauspielerinnen und Schauspieler outeten (#actout) und damit eine Debatte über die Sichtbarkeit von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und trans- Personen anstießen. „Es war einfach an der Zeit, dass in der Kirche auch so etwas passiert“, unterstreicht Pfarrer Christoph Simonsen. Zudem habe die Resonanz auf das kollektive Coming-Out und den Film nicht nur gezeigt, „wie viel Druck im Kessel gewesen ist, sondern auch, wie viel Leid, Schmerz und Verkrampfung die Menschen bis zu diesem Zeitpunkt in dieser Kirche erleiden mussten.“ Da während der Corona-Pandemie an reale Treffen nicht zu denken war, fand die Vernetzung zunächst über Zoom-Konferenzen statt. Aus anfangs fünf Personen wurden schließlich mehr als 100. Zudem seien 70 Prozent aus dem Kreis dazu bereit gewesen, trotz der Angst vor Diffamierung und Benachteiligung, aus der Anonymität herauszutreten. „Das Bild vom ‚Gesicht zeigen‘ hat mich besonders geprägt“, unterstreicht der Seelsorger. Die Chance, sich der Lebenswirklichkeit der queeren Menschen auch wirklich anzunehmen und ein Signal zu setzen, sei nach dem Film da gewesen. Allerdings müsse hierfür vor allem mit und nicht über die betroffenen Menschen gesprochen werden. Hier sieht Pfarrer Simonsen trotz der erzielten Erfolge immer noch Nachholbedarf. „Warum sind die Menschen aus dem Bistum Aachen, die sich an dem Film beteiligt haben, danach nicht zu konstruktiven und nachhaltigen Gesprächen an einen Runden Tisch gerufen worden? Wo bleibt der Mut der Hirten unserer Kirche, die Lebenswirklichkeit queerer Menschen ernst zu nehmen und die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen? Die Ungeduld wächst und die Anzahl der Kirchenaustritte wächst in gleicher Weise parallel dazu.“ 

Um ihren Anliegen noch mehr Nachdruck zu verleihen, hat die Initiative #OutInChurch Ende Januar 2023 einen Verein gegründet. Diesem Schritt steht Pfarrer Simonsen jedoch eher skeptisch gegenüber. Gerade dort, wo es ein starkes Gegenüber brauche, sei die Gefahr der Vereinnahmung gegeben. Trotzdem: Auch nach einem Jahr sagt der Seelsorger mit voller Überzeugung: „Der Film ist wirklich gelungen und seit Mitte Januar auch für den Grimme-Preis vorgeschlagen“.