"Kein auch nur annähernd vergleichbares Ereignis"

Frank Ertel, Leiter TelefonSeelsorge Aachen/Eifel (c) privat
Frank Ertel, Leiter TelefonSeelsorge Aachen/Eifel
Datum:
Do. 12. Aug. 2021
Von:
Stabsstelle Kommunikation

Frank Ertel, Pfarrer, Leiter TelefonSeelsorge Aachen/Eifel, Coach, war als Fachberater der Städteregion für die Psychosoziale Notfallversorgung der Bevölkerung während der Flutkatastrophe im Einsatz.

Wie haben Sie die Tage nach der Flutkatastrophe erlebt? Gab es in ihrer Tätigkeit als Notfallseelsorger jemals ein vergleichbares Ereignis dieser Größenordnung?

Für die Notfallseelsorge in Aachen und für mich gab es kein auch nur annähernd vergleichbares Ereignis. Wir haben mit 117 Seelsorgerinnen und Seelsorgern an 2500 Seelsorgestunden in den letzten vier Wochen geleistet. Viele von uns sind da bis an die Belastungsgrenzen gegangen. In vielen Situationen war es aber auch schön zu erleben, wie viel Vertrauen den Mitarbeitenden in den „Lila-Westen“ entgegen gebracht wurde.

Sie sprechen in ihrem aktuellen Podcast mit dem Titel „Katastrophe“ davon, dass die Menschen das Vertrauen verloren hätten. Worin zeigte sich diese Beobachtung genau?

Wenn sie morgens aus dem Haus gehen, vertrauen Sie ja darauf, dass sie ihre Wohnung am Abend in dem Zustand wiederfinden, wie sie diese verlassen haben. Das ist Vertrauen in das Leben. Das ist eine Art von Vertrauen, das wir von Anfang an, quasi mit der Muttermilch lernen. Das ist jetzt erschüttert. In den betroffenen Regionen ist dieses Grundvertrauen durch die immensen Verluste erschüttert. Mich berühren die alten Menschen sehr, die fassungslos dasitzen und vielleicht alles verloren haben, was sie besitzen, aber auch Erinnerungsstücke an die Kindheit ihrer Kinder zum Beispiel. Die Verluste kann man materiell gar nicht ausgleichen. Ich habe große Sorge vor der nächsten Zeit. Die Aktionsphase ist vorbei. Je ruhiger es im Außen werden wird, um so unruhiger wird es im Inneren werden. Ich bin zufrieden, dass wir in der kommenden Woche in Eschweiler und Stolberg jeweils eine neue Beratungsstelle für Menschen mit traumatologischen Belastungen eröffnen können.

Die Notfallseelsorge stand in den vergangenen Wochen stark im Fokus, sowohl bei den Betroffenen als auch in der medialen Berichterstattung. Haben Sie den Eindruck, dass ihr „Da sein“ als ein Angebot der Kirchen wahrgenommen wird oder spielt dies eher eine untergeordnete Rolle?

Zunächst einmal wird unser Angebot als ein Angebot der Hilfe, der Unterstützung und der Solidarität wahrgenommen. Das Wichtigste war, dass wir da waren. Notfallseelsorge ist ein Angebot offen für alle Menschen. Wir fragen nicht nach Zugehörigkeit zur Kirche. Wo Not ist, da helfen wir. Ich denke auf der einen Seite wird Notfallseelsorge schon als Angebot der Kirchen wahrgenommen. Wir haben gemerkt, dass wir im Gegensatz zu manchen Spontanhelfern nicht erst klar stellen mussten, dass wir nicht von irgendeiner Sekte sind. Ja, auch das hat es gegeben. Auf der anderen Seite finde ich es schade, dass es an manchen fast eine Kluft ist zwischen dem Angebot der Notfallseelsorge und den Pfarreien und Gemeinden. Da gab es eher in einzelnen Fällen und an bestimmten Stellen wirklich gute Verbindungen. Wie die Menschen das wahrnehmen und ob ihnen das wichtig ist, kann ich gar nicht sagen. Am Verhalten der Menschen ist aber abzulesen, dass sie auf Kirche setzen und auf Hilfe von den Kirchen hoffen.