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„Krisen sind nicht der Feind des Glaubens und auch nicht der Feind Europas“

In seiner Predigt vor der Karlspreisverleihung betonte Bischof Dieser, dass Krisen keine Feinde des Glaubens oder Europas sind – sie fordern uns heraus, neue Wege zu gehen.
Bischof Helmut Dieser, Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen Hendrik Wüst, König Felipe VI. von Spanien und Dompropst Rolf-Peter Cremer vor der Karlspreisverleihung.
Datum:
29. Mai 2025
Von:
Abteilung Kommunikation

Bischof Helmut Dieser würdigt Karlspreisträgerin Ursula von der Leyen und fordert Freilassung von Maria Kalesnikava

Aachen. Nach Ansicht des Bischofs von Aachen, Dr. Helmut Dieser, sind Krisen nicht der Feind des Glaubens und auch nicht der Feind Europas, sondern fordern uns im Glauben zu unseren besten Kräften und Willensbezeugungen heraus. „Gegen all das hilft eine bessere, eine mutige und kommunikationsstarke je neue Politik“, betonte Dieser in seiner Predigt vor der Verleihung des diesjährigen Karlspreises an die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am Feiertag Christi Himmelfahrt.

„Und gegen alle diese populistischen Angriffe hilft auch, was wir heute am Fest Christi Himmelfahrt feiern: das Plus des Glaubens nämlich, das die Grenzenlosigkeit der Versprechen, die die Demokratie macht, in einen neuen Horizont rückt.“ Der Bischof von Aachen würdigte im Aachener Dom Willenskraft, Mut und Klugheit der diesjährigen Karlspreisträgerin Ursula von der Leyen und rief zugleich alle Karlspreisträger auf, sich gemeinsam mit dem Direktorium des Karlspreises für die Freilassung der in Belarus inhaftierten Karlspreisträgerin von 2022, Maria Kalesnikova, einzusetzen.

 

„Das Fest Christi Himmelfahrt markiert und überwindet eine Krise“

Wie Dieser in seiner Predigt ausführte, markiert und überwindet das Fest Christi Himmelfahrt eine Krise, nämlich die Krise des Verlusts und des Weggehens einer charismatischen Gründungsgestalt. „Ihr Anführer war am Kreuz geendet als verurteilter Verbrecher, von seinem eigenen Volk ausgeliefert an die routinierte Maschinerie der römischen Besatzungsmacht“, stellte Dieser fest. Christus sei nicht in ein von Menschenhand gemachtes Heiligtum gegangen, sondern in den Himmel selbst. Die charismatische Gründungsgestalt sei nicht mehr selbst zugänglich und für Menschenhand erreichbar, sondern in die Endgültigkeit und Ewigkeit des Himmels erhoben. Jetzt müsse sich zeigen, was das Charisma, das ihn erfüllte, taugt, ob es sich in seinen Jüngern fortsetzt. Und die Verheißung liege gerade darin, dass seine Anhänger Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf sie herabkommen werde, denn dann werden sie seine Zeugen sein, und das nicht nur in der ersten und zweiten Generation, sondern bis an die Grenzen der Erde und bis zu dem Tag, auf den kein weiterer mehr folgen wird.

 

„Willenskraft, Mut und Klugheit sind gefordert“

In seiner Ansprache hob der Bischof des Weiteren hervor, dass das Direktorium für die Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen in diesem Jahr die Auswahl der Preisträgerin in einer ähnlichen Situation und aus vergleichbaren Motiven heraus getroffen habe. In einem Interview aus dem vergangenen April habe Ursula von der Leyen die Krisenphänomene aufgelistet, mit denen sie seit ihrem Amtsantritt konfrontiert worden sei. „All das aber geschah und geschieht vor dem Hintergrund tiefgehender Selbstzweifel Europas und des gesamten Westens an sich selbst“, urteilte Dieser. „Die Narrative der Gründungsgestalten der Europäischen Union, die Narrative der Wertegemeinschaft zwischen Amerika und Europa werden zwar immer wieder neu erzählt, doch das genügt nicht. Wir sind in eine Zeit danach geraten, und da braucht es neue Bewährungen und Weiterentwicklungen des Gründungscharismas.“ Willenskraft, Mut und Klugheit seien gefordert, und das wolle der Karlspreis der Preisträgerin attestieren.

 

„Europa ist ein Europa der Krisen“

Der Bischof unterstrich, dass Europa ein Europa der Krisen sei. Jean Monnet, der Karlspreisträger von 1953, aber habe das Wort geprägt, dass Europa in Krisen geschmiedet werde. Und Ursula von der Leyen selbst habe in dem bereits erwähnten Interview gesagt, Europa sei an jeder Krise gewachsen und stärker geworden und habe einen Teil der großen Antworten geliefert. Außerdem habe Europa die Krisen immer als Team bewältigt. Bischof Dieser fügte hinzu, dass Europa zu den „großen Antworten“ und zum Teamwork Europa auch deshalb fähig sei, weil es aus dem charismatischen Erbe des Evangeliums schöpfe „und weil die Gemeinschaft seiner Völker und Kulturen die christliche Gestalt von Vergemeinschaftung, von Einheit und Vielfalt, von Differenz und Zueinander von Kirche und Staat, die Idee der Würde des einzelnen Menschen in seiner Gottebenbildlichkeit und der Verantwortung und Rechenschaftspflicht aller für das Gemeinwohl eingeübt hat in jahrtausendelangem oft auch blutigem Ringen von Trial and Error seit der Epoche Karls des Großen bis heute, woran der Karlspreis erinnert“.

 

„Die Demokratie selbst ist krisenanfällig“

Dabei räumte der Bischof ein, dass die Demokratie selbst krisenanfällig sei – nicht erst durch Populismus und Extremismus, durch aggressive Autokratien und das Unterlaufen der eigenen demokratischen Errungenschaften, durch Angriffe auf die Gewaltenteilung oder die Pressefreiheit oder durch eine in jeden Winkel vordringende Fake-Propaganda, sondern auch, weil sie mehr verspreche, als sie halten könne. Von der Politologin Barbara Zehnpfennig stamme das Wort: „Die große Schwäche der Demokratie ist die Grenzenlosigkeit ihres Versprechens“. „Damit meint sie: Die Demokratie will, dass alle frei seien, und sie will, dass alle gleich seien“, erklärte Dieser. „Doch immer neu geraten diese Versprechen in Konkurrenzen, so dass Abstriche gemacht werden müssen an der einen oder der anderen Seite.“ Gleiche Voraussetzungen ließen sich nicht vollkommen herstellen, Transparenz müsse zum Schutz Einzelner eingeschränkt werden, und Informationen drängen nicht zu allen durch, die politisch Verantwortlichen erschienen als abgehoben oder in ehrgeizigen Eigeninteressen gefangen. „Alles breite Einfallstore, um die Demokratie selbst schlecht zu reden“, hielt Dieser fest.

 

Die großen Antworten kommen auch aus der Zuversicht des Glaubens

Freiheit und Gleichheit seien die großen Versprechen der Demokratie. Wer sie genieße, dürfe die nicht vergessen, die sie entbehren, mahnte der Bischof. Die großen Antworten und die Teamleistungen, zu denen Europa fähig sei, kämen auch aus der Zuversicht des Glaubens. „Wir setzen uns ein für das Gemeinwohl, wir glauben an die Verantwortung füreinander und vor Gott, und wir nehmen an dem Auftrag teil, dass Freiheit und Gleichheit immer wieder neu gerecht ausbalanciert werden müssen in den anstehenden gesellschaftlichen und politischen Fragen“, unterstrich der Bischof. Zum Beispiel in der Migrationsfrage könnten aktuell die Prinzipien der katholischen Soziallehre vor populistischer und extremistischer Vereinnahmung und Ausschlachtung schützen. Die Glückssuche der irdischen Existenz werde durch den Glauben an das Werk Christi nicht etwa kleiner, sondern größer. „Denn das irdische Glück wird zur Spur, die in den Himmel führt, wenn dieses Glück im Teilen und füreinander Sorgen, in Treue und Liebe, in Geliebt-Sein von Gott und in der Liebe zu ihm gefunden wird“, betonte Dieser. Versagen und Schuld, Leichenberge und Raubbau am Lebensglück der Anderen könnten von den Siegern der Geschichte nicht endgültig unterdrückt werden, denn auf das Ende dieses Lebens folge das Gericht, und dieses Gericht werde den verstummten Opfern der Geschichte Stimme und Recht geben.

Impressionen Karlspreis 2025