Leben am Loch

Datum:
Mo. 21. Okt. 2024
Von:
Stabsabteilung Kommunikation
Aachen. Nach jahrelanger Unsicherheit für die Anwohner, öffentlichkeitswirksamen Protesten und politischem Hin und Her traf der NRW-Landtag die Leitentscheidung zum früheren Ausstieg aus der Braunkohle und zur Verkleinerung der Abbaufläche. Mit dieser Leitentscheidung im September 2023 war klar, dass die zu Erkelenz gehörenden Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich, Berverath wie auch Morschenich im Dürener Land doch nicht abgebaggert werden. Da war aber ein Großteil der Bewohner schon umgesiedelt oder saß auf gepackten Umzugskisten. Wie geht es den Dörfern nun gut ein Jahr nach der Entscheidung?

Ein (fast) leeres Dorf

Es ist ein gutes Jahr her, dass die Rettung von Keyenberg, Kuckum und den anderen Orten bei Erkelenz beschlossen wurde. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Es ist ein gutes Jahr her, dass die Rettung von Keyenberg, Kuckum und den anderen Orten bei Erkelenz beschlossen wurde.
Was zunächst aussah wie die Umsetzung dessen, was eigentlich alle gewollt haben, erweist sich jedoch für die ehemaligen und verbliebenen Bewohner nicht ausschließlich als Glücksfall. Wo noch jemand wohnt, ist an den oft dekorierten Türen und den gepflegten Gärten zu erkennen. Jetzt kommen die Fragen: Was soll mit dem Dorf geschehen? Wie wird es sich entwickeln? - Ein Streifzug durch die Dörfer zeigt Einblicke zwischen trostlos und Idyll und Menschen in Ungewissheit.
 

Eine Aufgabe für Jahrzehnte

An manchen Fenstern hängt eine Information, wie es rund um Keyenberg aussehen soll. Was mit den alten Höfen passiert, ist derzeit noch unklar. (c) Garnet Manecke
An manchen Fenstern hängt eine Information, wie es rund um Keyenberg aussehen soll. Was mit den alten Höfen passiert, ist derzeit noch unklar.
Es herrscht eine unterschiedliche Stimmung an den Rändern der Tagebaue. Anwohner sind noch auf der Suche, wie es mit ihren Dörfern weitergeht. Doch die politischen Rahmenbedingungen werden gesteckt. „Die geretteten Dörfer werden zu „Orten der Zukunft“ weiterentwickelt“, zeigt sich Stephan Muckel zuversichtlich. „Ein erster Schritt in diesem Jahr war die Option zum Vorkauf von ehemals genutztem Wohneigentum. Sie richtete sich an Menschen, die aus den Dörfern umgesiedelt sind sowie an deren Kinder.“ Derzeit fänden Besichtigungen und die Erstellung von Gutachten für die Häuser statt, für die ein Interesse bekundet wurde. „In den kommenden Wochen beginnt ein weiterer Beteiligungsprozess zur Wiederbelebung der fünf Dörfer.“ Doch diese Wiederbelebung sei eine Aufgabe für Jahrzehnte, so der Bürgermeister.
 

Zukunftsfähige Flächennutzung – eine einmalige Chance

Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund) NRW sieht eine einmalige Chance zu einer zukunftsfähigen Flächennutzung. (c) Bund NRW
Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund) NRW sieht eine einmalige Chance zu einer zukunftsfähigen Flächennutzung.
Seitdem klar ist, dass die Dörfer erhalten bleiben, ist auch die Frage im Blick, was mit den Gebieten passiert, die vom Tagebau sozusagen nicht mehr gebraucht werden, weil dort alles abgebaut wurde. Eine Idee ist, mehr Biotop-Flächen zu schaffen. Dirk Jansen, Geschäftsleiter des Bundes für Umwelt und Naturschutz (Bund) NRW sieht hier eine einmalige Chance zu einer zukunftsfähigen Flächennutzung. Mit dem absehbaren Ende der Braunkohlegewinnung biete sich jetzt die einmalige Chance, die ökologisch arg geschundene Region zukunftsfähig aufzustellen. Doch diese Gelegenheit droht laut Jansen verpasst zu werden: „Es werden im großen Umfang neue Gewerbegebiete auf der ‚grünen Wiese‘ geplant. Die Schaffung des – auch von der Landesregierung gewollten – Ökosystemverbundes kommt nicht voran, Nachhaltigkeitsziele spielen beim Strukturwandel kaum eine Rolle“, bemängelt er. Er sieht die Notwendigkeit einer Regionalentwicklung, die den Herausforderungen des Klimawandels proaktiv begegne, die Region als Lebensraum für die Menschen lebenswert gestalte und damit auch eine wichtige Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaftsregion schaffe.
 

„Wir haben nur fassungslos in das große Loch geschaut“

Setzt sich für das Gedächtnis an die abgebaggerten Dörfer im Kirchspiel ein: Franz Wings. Die Kapelle steht auf Neuland genau an der Stelle, an der vor dem Abbaggern die Kirche von Lohn stand. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Setzt sich für das Gedächtnis an die abgebaggerten Dörfer im Kirchspiel ein: Franz Wings. Die Kapelle steht auf Neuland genau an der Stelle, an der vor dem Abbaggern die Kirche von Lohn stand.
Doch gibt es die Probleme von Umsiedlung und Dörfern, die knapp nicht abgebaggert werden, nicht erst in den vergangenen Jahren. Trude und Franz Wings mussten vor über 50 Jahren ihre Heimat Langendorf im damaligen Kreis Jülich verlassen. Wie viele weitere Orte nördlich von Eschweiler wurde das Dorf geräumt, die Häuser wurden abgerissen. Öffentliche Proteste oder Aktionen gab es damals nicht. Die Familie beginnt 1972 ein neues Leben in Dürwiß. „Im neuen Leben ist es wichtig, den Abschied, die Erinnerungen an das Dorf und das Leben dort zu verkraften“, sagt Trude Wings und verrät ein Rezept zum Gelingen: „Man muss sich dem Neuen öffnen.“