Seit 2017 setzt sich das Selbsthilfenetzwerk „Respekt“ in Heinsberg für osteuropäische Betreuungskräfte, sogenannte Live-Ins, ein. Jetzt wird eine digitale Struktur erarbeitet, die das analoge Angebot digital begleiten soll. Ziel ist es, die Menschen über Rechte und Beratungsstellen zu informieren und ihnen durch Vernetzung Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Damit soll ein Portal geschaffen werden, das regionale Grenzen überwindet und auch in Pandemie-Zeiten eine Konstante sein kann.
Die "Unsichtbaren" - so nennt Johannes Eschweiler, Betriebsseelsorger im Kreis Heinsberg, die osteuropäischen Arbeitskräfte, die im häuslichen Umfeld Menschen betreuen und pflegen - meist mit geringen Sprachkenntnissen, unsicherem Aufenthaltsstatus und ohne soziale Absicherung. Der Blick von Politik, Gewerkschaft und Gesellschaft geht an den „24-Stunden-Kräften“, auch Live-Ins genannt, vorbei. Ohne eine organisierte Lobby sind sie Agenturen ausgeliefert, die allein ihren Profit in den Fokus setzen. Oft erleben diese Menschen schlechte Arbeitsbedingungen: von der eigenen Familie getrennt, arbeiten sie 24 Stunden ohne persönlichen Rückzugsort und ohne Beachtung des Arbeitsrechts.
„Die Kirche muss aber anders denken“, fordert Kathrin Henneberger, Referentin für Fragen der Arbeitswelt und Betriebspastoral. Und genau deshalb hat sich das Projekt Respekt zur Aufgabe gemacht, ein Netzwerk für diese Zielgruppe zu spannen. Im Herbst 2017 hat sich unter Federführung der Betriebsseelsorge des Bistums Aachen und unter Mitwirkung der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), das Selbsthilfenetzwerk „Respekt“ gegründet - eine Initiative im Raum Heinsberg für osteuropäische Betreuungskräfte und mit ihnen. Rund 80 Live-Ins sind inzwischen darin organisiert. Sie kommen dort miteinander in Kontakt, besuchen Deutschkurse und werden bei Bedarf im pflegerischen Bereich geschult. Den Grundstein für dieses Projekt hat die Steyler Missionsschwester Svitlana Matsuik gelegt, die als Seelsorgerin für die Begleitung und Betreuung von Wanderarbeitern in der Region Heinsberg zuständig war.
Mittlerweile wird das Projekt von der Betriebsseelsorge im Bistum Aachen, der AMOS eG in Heinsberg-Oberbruch, den Steyler Missionsschwestern und der KAB getragen. Das Credo des Projekts ist „Hilfe zur Selbsthilfe“. Die Träger bieten Kurse an, nehmen Kontakt zu den oft sehr isoliert lebenden „24-Stunden-Kräften“ auf und unterstützen bei Alltagsfragen. Sie haben sich zum Ziel gesetzt, Hilfe zur Vernetzung untereinander zu bieten und die Menschen somit zu befähigen, sich gegenseitig zu unterstützen.
Die Pandemie hat die Arbeit des Projekts vor ganz besondere Herausforderungen gestellt. Denn ohne zwischenmenschliche Kontakte bricht das Netzwerk zusammen. Doch auch ohne Corona ist die langfristige Vernetzung schwierig: In der Regel wechselt nach drei Monaten der Einsatzort und die Konstante vor Ort fällt weg. So ist die Idee geboren, die analoge Unterstützung durch digitale Hilfsangebote zu unterstützen. Eine Webapplikation soll helfen, den Kontakt über lokale Grenzen aufrechtzuerhalten sowie seriöse Informationen in verschiedenen Sprachen bieten und aufzeigen, wer helfen kann.
Die Projektgruppe, bestehend aus Kathrin Henneberger, Referentin für Fragen der Arbeitswelt und Betriebspastoral, Johannes Eschweiler, Betriebsseelsorger im Kreis Heinsberg-Oberbruch, Anna Kobylecka, Pastoralassistentin in der Gemeinschaft der Gemeinden Heinsberg-Oberbruch sowie den Ehrenamtlern Rosi Becker, Sonja Hanrath, Hans-Werner Quasten und Heinz Backes, wird von der Innovationsplattform des Bistums Aachen unter Leitung von Christoph Lohschelder begleitet.
„Wir sehen unseren Auftrag darin, Menschen aus dem Ausland in kurzzeitigen Arbeitsverhältnissen zu unterstützen. Sie sollen in Deutschland in einem vertrauensvollen Netzwerk gut begleitet sein. Wir sorgen dafür, dass sie immer eine Person oder Einrichtung finden, die sie um Hilfe bitten können. So können sie ihre Aufgaben in den Familien oder bei den pflegebedürftigen Menschen gut bewältigen", beschreibt Lohschelder die Vision. Eschweiler ergänzt: „Auch auf diese Art soll Gemeinschaft und Begegnung entstehen.“
In der ersten Version des Portals finden sich folglich neben den Kontaktadressen zu den Beratungszentren und Informationen zu häufig gestellten Fragen ebenso seelsorgerische Angebote und Tipps für die Freizeitgestaltung in verschiedenen Sprachen. „Hier haben wir viel aus den Gesprächen mit den Betreuungskräften gelernt. Denn nur wenn das Angebot auch den Bedürfnissen entspricht, kann es eine Hilfestellung sein und wird auch nur dann genutzt", betont Kobylecka.
Der Start des Portals ist für den 7. Oktober, den Tag der menschenwürdigen Arbeit, anvisiert. „Wir können nicht auf Kosten der Menschenwürde von Anderen das menschenwürdige Leben im Alter für unsere Angehörigen ermöglichen", betont Henneberger abschließend.
Infokasten:
Schätzungsweise 300.000 bis 600.000 Menschen arbeiten in Deutschland als 24-Stunden-Betreuerinnen. Meist sind es Frauen. Viele stammen aus Osteuropa und kommen über Vermittlungsagenturen hierher. Sie machen einen Job, den vielen Menschen aus Deutschland aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen nicht annehmen wollen: Sie arbeiten teilweise ohne Pausen und ohne freie Tage bei geringem Lohn.
Kontrollen, wie etwa bei den Arbeitszeiten, gibt es in dem Bereich kaum. Eine 24-Stunden-Betreuerin erzählt von ihrer Erfahrung: „Bei mir im Vertrag steht eine Arbeitszeit von sechs Stunden am Tag, fünf Tage die Woche. Und ich arbeite 20 oder 21 Stunden am Tag an sieben Tage in der Woche, die Nächte dazu. Ich kann nicht mehr, ich bin kaputt."