Christina Gesell kennt keine Berührungsängste zu Kranken oder Sterbenden. Sich um alte oder pflegebedürftige Menschen zu kümmern, war in ihrem Elternhaus selbstverständlich. „Wenn jemand aus dem Dorf angerufen hat, waren wir präsent.“ erzählt die 71-Jährige.
Seit 25 Jahren arbeitet Christina Gesell ehrenamtlich als Sterbebegleiterin im ambulanten Hospizdienst der Aachener Caritasdienste in der Region Aachen. In diesem Jahr begleitet sie bereits zum vierten Mal einen Menschen in seiner letzten Lebensphase. Der gebürtigen Alsdorferin liegt die Hospiz-Arbeit sehr am Herzen. „Ich fühle mich durch die Begleitungen immer sehr beschenkt“, betont sie.
Ein Schlüsselerlebnis war für sie, als ihre Oma zu Hause im Sterben lag. „Als ich meine Oma einmal pflegte, habe ich zu ihr gesagt: ‚Oma, eigentlich müssen wir mal überlegen, wie das wird, wenn du stirbst. Was du anziehen willst oder wie die du bestattet werden möchtest. Du hast doch das blaue Kleid mit den Punkten und dem weißen Krägelchen. Das könnte ich mir gut vorstellen, wenn du in den Sarg kommst.‘ Und da hat meine Oma gesagt, dass sie auch Strümpfe und Schuhe anhaben möchte. Wir haben das ganz normal im Gespräch geklärt, und meine Mutter saß nebenan im Schlafzimmer und hat geweint“, erinnert sie sich.
Diese Leichtigkeit, ihre Geduld und manchmal auch ihre Direktheit sind die Stärken von Christina Gesell. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen das gut finden.“ Auch beruflich hatte sich Christina Gesells Weg in Richtung Palliativpflege entwickelt. Zunächst war sie Kinderkrankenschwester, machte dann aber noch eine Ausbildung zur Palliative-Care-Fachschwester und baute die Palliativ-Station im Rhein-Maas-Klinikum in Würselen mit auf. „Das war für mich ein Traumjob“, betont die 71-Jährige. Zehn Jahre hat sie dort gearbeitet, im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die oft nach wenigen Jahren ausgebrannt waren. „Ich habe immer die Kraft gehabt, diesen Job zu machen. Mit Gottes Segen und mit Neugier und Liebe zu den Menschen.“ Das war auch ihre Motivation, als sie sich zur ehrenamtlichen Sterbebegleiterin ausbilden ließ und in den Hospizdienst ging. In all ihren Begleitungen hat Christina Gesell viel Wertschätzung und Vertrauen erfahren. „Ich fühlte mich immer reich beschenkt“, betont die Alsdorferin. Nur als ihre eigenen Eltern starben, hat sie eine Pause eingelegt. „Wenn man persönlich betroffen ist, ist das noch einmal ein ganz anderes Gefühl. Das hat mich ein Stück weit verändert. Ich glaube, da habe ich noch mehr Empathie für den Menschen entwickelt“, blickt sie heute auf die für sie schwere Zeit zurück.
Wenn Menschen eine Begleitung in der letzten Lebensphase wünschen, haben sie die Möglichkeit, sich beim Hospizdienst zu melden. Dort erwartet sie dann Koordinatorin Bente Ziemons zum Vorgespräch. Bei diesem wird die persönliche und gesundheitliche Situation besprochen und geklärt, welche Form der Begleitung die Menschen wünschen. Anschließend prüft die Koordinatorin, welche Begleiterin oder Begleiter gut zum Interessenten passt, nimmt Kontakt auf, beschreibt den Patienten oder die Patientin und deren Wünsche und klärt, ob eine Begleitung möglich ist. „Leider fordern viele Menschen in der letzten Lebensphase oft viel zu spät für sich eine Begleitung ein“, beschreibt Christina Gesell ihre Erfahrungen. Manche Leute habe sie nur zwei Mal besucht, weil sie zwei Wochen später bereits gestorben waren.
Bei der eigenen Verarbeitung der oft bewegenden Besuche ist es für Christina Gesell gut, einen verständnisvollen Partner zu haben. Auch die Möglichkeit der Supervision und der regelmäßige Austausch der ca. 50 Begleiterinnen und Begleiter bei den Gruppentreffen der Hospizarbeit sind der 71-Jährigen wichtig. Besonders die gegenseitige Ermutigung. „Oft höre ich, wie ängstlich neue Begleiterinnen und Begleiter sind. Ich denke immer: Gut gucken, gut fühlen und dann merkt man, was das Richtige ist“, berichtet Christina Gesell. Und wenn es mit der Begleitung einmal zu viel werden sollte, dann besteht immer die Möglichkeit, die Reißleine ziehen. „Wichtig ist, sich gut abzugrenzen und auch einmal Nein sagen zu können. Aber das ist für mich, glaube ich, ein immerwährender Prozess“, schmunzelt die 71-Jährige. Manchmal, wenn es privat eng wird und gleichzeitig ein Begleitbesuch ansteht, muss sich Christina Gesell zusammenreißen. „Doch dann war es im Nachhinein betrachtet so ein schöner Nachmittag und ich habe nur gedacht: Gut, dass du gegangen bist. Es war doch ein Geschenk.“
In ihren Begleitungen hat Christiana Gesell viele berührende Momente erlebt. Beispielsweise mit einer jungen Muslimin, die mit ihren Kindern und ihrem Mann aus Syrien geflohen war. An sie denkt die Alsdorferin noch oft; an die Begleitung, die unter Corona-Bedingungen mit verschärften Hygiene-Regeln stattfinden musste und an die große Gastfreundlichkeit der Familie. Aber auch an eine junge Frau, mit der Christina Gesell trotz allem auch viel gelacht hat. „Die war ein Unikum und echt lustig. Sie war Clown, hatte eine Clownschule und hat immer für mich gezaubert, wenn ich zu Besuch kam.“ Über das Sterben und die Beerdigung haben beide auch miteinander gesprochen: „Mir hatte sie den Auftrag gegeben, der Beerdigung einen christlichen Touch zu geben. Ich sollte ein Gebet sprechen und das Vaterunser beten. Die Beerdigung war dann eine einzige Zirkusschow. Ihre Schüler haben gezaubert, Luftballons steigen lassen, und zum Schluss haben alle geweint. So eine Beerdigung habe ich noch nie erlebt.“
Wenn Christina Gesell an ihren eigenen Tod denkt, hat sie keine Angst. Sie weiß aus ihren vielen Erfahrungen, was alles möglich ist. „Wenn klar ist, dass ich gehen muss, möchte ich, dass meine Familie bei mir ist. Familie ist für mich alles.“