„Wer sich öffnet, macht sich verletzlich“.

Einblicke in die Notübernachtung Düren.

Die Notübernachtung in Düren ist eine Anlaufstelle für obdachlose Menschen. (c) IN VIA Düren
Die Notübernachtung in Düren ist eine Anlaufstelle für obdachlose Menschen.
Datum:
Fr. 6. Dez. 2024
Von:
Newsletter-Redaktion

„In meinen 62 Lebensjahren habe ich schon ein sehr breites Spektrum an Menschen erlebt“, erzählt Stephan Backhaus. Der Sozialpädagoge leitet die Notübernachtung Düren. Sie wird vom Fachverband In Via (Katholische Mädchensozialarbeit für die Region Düren-Jülich) betrieben und hat sich zum Ziel gesetzt, Menschen in Wohnungsnot ein möglichst umfassendes Hilfeangebot an die Hand zu geben. 

Wer sich die Statistik anschaut, wird sehen, dass die überwiegende Zahl der Gäste – nämlich 82 Prozent – männlich und zwischen 36 und 55 Jahren ist. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 10.000 Übernachtungen bei einer Verweildauer zwischen drei und mehr als 180 Tagen registriert. „Die Zahlen spiegeln die Realität im Alltag natürlich nur sehr nüchtern wider“, gibt Backhaus zu bedenken. Wer auf der Straße lebe, sei mit einer täglich erlebten Ausgrenzung konfrontiert. Dies zeige sich, wenn Wohnungslose von Aufenthaltsorten verjagt werden, in Beschimpfungen, Gewalt, Diebstahl und Betrug. Zudem stehe so mancher Obdachloser unter aufgrund einer Drogensucht unter besonderem Druck. 

Bis die Menschen überhaupt anfangen würden, über ihre Erlebnisse zu berichten, brauche es ein Vertrauensverhältnis, das Stück für Stück aufgebaut werden müsse. „Das Leben ohne eigene Wohnung, ohne Rückzugs- und Schutzraum, macht unsicher und notgedrungen misstrauisch. Wer sich öffnet, macht sich verletzlich“, gibt Stephan Backhaus zu bedenken. 

In dieser an sich schon schwierigen Gemengelage kann es auch vorkommen, dass die Mitarbeiter der Notübernachtung selbst zur Zielscheibe von Aggressionen aller Art werden. „Meine Kollegen und ich werden immer wieder beschimpft und bedroht oder müssen – wenn auch Gott sei Dank selten – mit ansehen, wie Stühle durch Fenster fliegen oder komplette Zimmereinrichtungen zerstört werden. Und wenn ich dann höre, dass jemand nach so einem Ereignis letztlich längerfristig in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht wurde, macht mich das schon nachdenklich und betroffen. Einerseits aus Angst, dass man selbst Opfer hätte sein können, andererseits, weil man sich immer kritisch hinterfragt, ob es noch Lösungsmöglichkeiten gegeben hätte“, sagt der Sozialpädagoge. 

Trotz aller Widrigkeiten und negativer Erlebnisse gebe es aber auch Berichte von gelebter Solidarität und Hilfsbereitschaft untereinander. So werde beispielsweise das letzte Essen geteilt oder aufeinander aufgepasst. Auch spontane Hilfe von Mitmenschen, die mal eine Tüte mit Lebensmitteln vorbeibringen, Obdachlosen etwas Geld in die Hand drücken, den Schlafplatz nicht räumen lassen, sondern ihn stillschweigend dulden oder einfach spontan Essen abgeben, komme immer wieder vor. Zudem sei es dank einer hohen Spendenbereitschaft auch möglich, alljährlich ein Weihnachtsessen auszurichten.  

Neben der Notübernachtung mit Tagesaufenthalt betreibt In Via auch die Bahnhofsmission, Fachberatungsstellen in Düren und Jülich, betreutes und stationäres Wohnen, Café-Angebote („Lichtblick“ in Düren und „Gemeinsam“ in Jülich) und die Wohnraumvermittlung „Endlich ein Zuhause“.