Der Bischof von Aachen, Dr. Helmut Dieser, lobt die politischen Demonstrationen und Kundgebungen der vergangenen Wochen ausdrücklich und ruft alle Gläubigen auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. „Die beeindruckenden friedlichen politischen Kundgebungen in der Öffentlichkeit tragen dazu bei, die Demokratie zu stärken und zu schützen“, schreibt Dieser in seinem heute veröffentlichten Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2024. „Ich bin überzeugt, die vielen Menschen, die in den letzten Wochen auf die Straße gegangen sind, legen den Finger in Wunden, die für die Demokratie insgesamt gefährlich werden können. Deshalb bitte ich Sie alle, Ihr souveränes demokratisches Recht auszuüben und an den Wahlen teilzunehmen, die in diesem und in den folgenden Jahren anstehen!“ Zugleich lädt der Bischof die Gläubigen im Bistum Aachen dazu ein, in der Fastenzeit über die Menschenwürde nachzudenken, die letztlich von Gott verliehen sei.
Um frei wählen zu können, müsse man verschiedene politische Absichten erkennen und unterscheiden können, fordert Dieser in seinem Fastenhirtenbrief. Um unterscheiden zu können, müsse man aber die Vorteile und Nachteile, die Konsequenzen und die Gefahren konkreter Politik wahrnehmen. Darum sei es so wichtig, dass in den Parlamenten alle Positionen und Absichten offen vorgetragen und die freie Meinungsbildung durch die besseren und stärkeren Argumente vorangebracht werde. Nur so können nach Ansicht von Dieser die wahren Ziele politischer Parteien erkannt und auch ihre Abgründe entlarvt werden. „Es ist ein großer Fehler, wenn auf Argumente nicht eingegangen wird, wenn Teile des Meinungsspektrums vorschnell tabuisiert und wenn Menschen gar mundtot gemacht werden sollen und sich stattdessen die politisch Verantwortlichen gegenseitig beschimpfen und abwerten“, prangert der Bischof die Haltung populistischer und radikaler Kreise und Parteien an. „Denn wir brauchen offene Debatten statt Zersplitterung, sachliche Argumentationen statt moralische Abwertung, demokratische Mehrheitssuche statt Radikalisierung, ehrliche Kompromissbereitschaft statt Vereinfachung und Verfälschung.“
Des Weiteren führt Dieser aus, dass es zwischen den politisch Verantwortlichen und denen, die sie wählten, dauernde Wechselwirkungen gebe. Deshalb komme es zuerst und zuletzt auf jeden Einzelnen an. „So gut wir sind, so gut geht es auch der Demokratie und so gut werden auch die sein, die Verantwortung übernehmen“, unterstreicht der Bischof. Christen könnten im Leben immer neu erkennen, worauf es ankomme, wenn sie an das Evangelium Jesu glaubten. „Aktuell zum Beispiel das Folgende: Die Unterschiedlichkeit der Menschen und Kulturen sind kein Problem für Gott und für das Reich Gottes, sondern es sind immer die eigenen Ängste und Verweigerungen aufeinander zuzugehen, einander anzuerkennen und zu unterstützen, zu teilen, miteinander um das Bessere zu ringen“, mahnt der Bischof. „Wer uns das Blaue vom Himmel verspricht und die Lösung aller Probleme, lügt und täuscht. Gute Politik muss immer nach dem Allgemeinwohl fragen und darf nicht nur die eigenen Anhänger gelten lassen. Wer nämlich andere ausgrenzen und abwerten will, verstößt gegen das Gebot, das im Reich Gottes gilt: Denn Gott ist der Vater aller Menschen, und wir sind Schwestern und Brüder.“
In seinen weiteren Ausführungen weist Dieser darauf hin, dass Jesu Wort „Die Zeit ist erfüllt“, eine Nähe zu dem habe, was man aktuell in vielen Demonstrationen hören und lesen könne: „Nie wieder ist jetzt“. So müsse sich jeder Einzelne fragen, ob er erkenne, dass seine eigene Einstellung zähle, ob er an sich selbst arbeite und sich mit Menschen umgebe, die einander nach dem Munde redeten, oder sich für solche öffne, die einander zum eigenen Nachdenken und Handeln herausforderten. Es gelte auch der aktuelle Satz „Nie wieder ist – dauernd“, denn die Versuchungen hörten nicht auf. „Aus der Geschichte können wir nur dann lernen, wenn jeder selbst sich einen Abstand verschafft und die Wiederholungen der Versuchungen durchschaut“, hebt Dieser hervor. „Dann können wir mit der Kraft des Glaubens widerstehen und gegen das Abgründige angehen.“ Ein tiefer Trost sei dabei, dass Gott in Jesus zu allen herabgestiegen sei, die im Bösen und in der Verlorenheit aller Fehler und Niederlagen gefangen seien und darin stürben. Die Taufe verändere darum die ganze Situation des Menschen und eröffne von Gott her ein reines Gewissen aufgrund der Auferstehung Jesu Christi. „Aus der Taufe leben, das heißt für uns: das Größtmögliche hat Gott schon für mich und für die Welt getan“, legt Dieser in seinem Hirtenwort dar. „Alles Kleine und Vorläufige aber, das ich in meinem Leben zustande bringe, darf ich zu Gottes Werk hinzulegen, er macht es groß, denn das Reich Gottes ist nahe.“
Der Bischof verweist in seinem Schreiben an die Gläubigen des Bistums Aachen darauf, dass der erste Artikel des Grundgesetzes lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Nach Diesers Ansicht trägt der christliche Glaube an das Reich Gottes, das in Jesus beginnt, entscheidend dazu bei, an diesem Satz festzuhalten und den Staat so mitzugestalten, dass er die Würde jedes Menschen unantastbar schützt. „Niemand darf jemals würdelos behandelt werden!“, fordert Dieser. „Auch ein Staat, der sich dieses Grundgesetz gibt, hat eine Würde, und diese bringt uns dazu, unsere freiheitliche Demokratie zu schützen.“ Die Würde, die jeder Mensch habe, behalte er sogar dann, wenn er Fehler mache, schuldig werde und sich selbst ruiniere, denn sie komme von Gott. „Nutzen wir die kommende Fastenzeit, um über diese Würde nachzudenken, die Gott uns verleiht und die unser Staat zu seiner eigenen Grundlage erklärt hat“, ruft der Bischof die Gläubigen auf und gibt ihnen für die kommenden Wochen mehrere Fragen als Impulse mit auf den Weg: Wie kann ich tiefer spüren, dass Gott mir in ganzer Liebe zugetan ist? Wie gehe ich mit mir selber um: liebevoll und barmherzig oder ungeduldig und überfordernd? Was geht von mir aus für andere: Mache ich die Mitmenschen klein und halte ihre Anliegen von mir fern, oder öffne ich mich ihnen und fördere sie? Wovor habe ich Angst? Bewege ich mich darauf zu, dass Jesus mir wirkliche Versöhnung und Frieden anbietet? Was könnte ich tun, um das Wort Jesu „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ neu anzuwenden auf die Versuchungen, die mich umgeben?