Ansprache zum 28.Sonntag im Jahreskreis C-2025:
Es gibt Begebenheiten, die sind lange aus dem Gedächtnis verschwunden; aber dann sieht man etwas oder liest etwas und sofort ist die Erinnerung wieder da.
Als ich das heutige Evangelium zur Vorbereitung auf unseren Gottesdienst gelesen habe, da erinnerte ich mich eines Besuches in Rom. Es war am 22. September 2013 und es goss in Strömen, als ich mich auf den Weg zum Petersplatz machte, um dem Angelusgebet beizuwohnen.
Eigentlich bin ich nicht so ein Fan großer Massentreffen und eigentlich tu ich mich auch schwer mit so einem aufgebauschten Personenkult. Aber Papst Franziskus, gerade mal ein halbes Jahr im Amt, hat in seinem bescheidenen Auftreten zweifelsohne nach den pompösen Auftritten von Benedikt das Papstamt wieder geerdet und ich war neugierig, wie ich den neuen Papst wohl erleben würde. Er hat auch bei mir viele Hoffnungen geweckt, dass es ihm gelingen könnte, viele alte Verkrustungen aufzubrechen. Ob sie erfüllt werden würden? Ich schwankte damals in meinen Gefühlen zwischen Hoffnung und Skepsis.
Der Petersplatz war gut gefüllt; trotz des herunter prasselnden Regens harrten die Menschen aus, dass sich das Fenster oben im Papstpalast öffnet. Über mich selbst staunend war ich damals fasziniert ob dieser konzentrierten Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf dem Platz. Einerseits war um uns herum unwahrscheinlich viel Gewusel, andererseits aber auch eine geheimnisvolle Friedfertigkeit.
Ich hielt es kaum für möglich: So viele Menschen, die einander fremd sind und zugleich alle etwas gemeinsam haben: den Glauben. Glaube verbindet: das war die wichtige Erkenntnis, die ich an diesem Mittag gewinnen durfte. Glaube verbindet, auch wenn man sich fremd ist. Eine für uns alle existentielle Erfahrung, da doch so oft der Glaube Zwietracht sät und Menschen gegeneinander ausspielt.
Dann, am Ende, nachdem einige bevorzugte Gruppen gesondert begrüßt wurden, löste sich die Menge auf. In Windeseile verkrochen sich die Menschen in die Seitenstraßen und Gassen der Via Conziliacone und bestürmten die Bars und Trattorias. Plötzlich war sich wieder jeder selbst der Nächste; nur irgendwie ganz schnell rein ins Trockene. Wer könnte das nicht verstehen. Die Kellner standen an den Eingängen und lockten zusätzlich mit besonders preiswerten wie schmackhaften Menüs. Auch ich wurde angesprochen und endlich war da auch eine kleine Bar, in der noch Platz war. Aber mit einem vehementen "no" und einer abweisenden Geste wurde mir der Zugang von diesem gleichen Kellner verwehrt. "no bello" Zu deutsch: "Wir müssen draußen bleiben". Ich muss nämlich erwähnen, dass meine beiden Hunde natürlich mit dabei waren. Und mit "wir" war in dem Fall ich und meine beiden Hunde gemeint. Ich kann das Gefühl, das in diesem Moment in mir hochkam, nur ganz schwer beschreiben. Gerade noch eingebunden in einer unüberschaubar großen Menge von Menschen, die in aller Fremdheit zueinander gemeinsam gebetet und gesungen haben, wuchs in mir jetzt das Empfinden, ein Ausgeschlossener zu sein.
Ich weiß natürlich, dass es völlig unangemessen ist, sich jetzt so unvermittelt mit dem Leprakranken zu vergleichen, dessen Leid und das Gefühl von Verlassen-sein unvergleichlich größer gewesen ist. Aber, dieser Gedankenblitz war es, der mich in diesen Tagen in Gedanken nach Rom zurückgeführt hat, dieses Gefühl, unverstanden zu sein, ungerecht behandelt zu werden, im wahrsten Sinn des Wortes "im Regen stehen gelassen" zu werden. Haben Sie vielleicht auch schon einmal solch eine Erfahrung machen müssen, dass Sie bewusst und willentlich draußen bleiben mussten, ausgeschlossen wurden, wo Sie doch dazugehören wollten?
Einige von Ihnen haben es ja vielleicht auch mitbekommen: Dieses erste große Interview. Dass Papst Leo einer amerikanischen Journalistin gewährt hat. Ja, er wolle zuhören, allen Menschen mit Zuneigung und Respekt begegnen. Eine wertvolle und bewundernswerter Eigenschaft: einem Menschen vorurteilsfrei begegnen zu wollen. Aber in dem gleichen Lehrschreiben gab es dann auch die andere Seite: Nein, er wolle die Lehre der Kirche nicht ändern. Ist das nicht ein Widerspruch? Wer vorurteilsfrei zuhört, der muss doch auch damit rechnen, dass er selbst in einen Lernprozess hineinkommt, der Veränderung nach sich zieht.
Frauen könnten verantwortliche Aufgaben jenseits der Weihe erhalten und queere Menschen sollten sich willkommen fühlen in der Kirche, aber er spricht in diesem Zusammenhang immer von „die anderen“. Nun ist Anderssein bestimmt keine Schande. Diese Erkenntnis zeigt uns schon unsere rheinische Sprache, wo es heißt: “Jede Jeck is angersch”. Anderssein bereichert eine Gemeinschaft, macht sie lebendiger, spannender. Jede und jeder von uns ist ein Unikat und zusammen bilden wir eine Gemeinschaft.
Aber ich bin mir unsicher, ob Papst Leo das so gemeint hat. Denn er sprach immer von einem Gegenüber: “Wir und die anderen”. Zeigt sich in dieser Begrifflichkeit nicht ein eher ausgrenzender Charakter. „Wir und die anderen“. Genau das sagte er“ „Wir“ im gegenüber zu „den anderen“. Und das Anderssein hat eben die Konsequenz, nicht zum „wir“ zu gehören. In diesem Verständnis ängstigt ein Anderssein. Aber warum, so frage ich mich, muss das so sein?
In diesem Augenblick, wo ich da draußen auf der Straße irgendwo in Rom stand, völlig durchnässt und innerlich zerrieben zwischen Verlorenheit und Wut, da hab ich für einen Augenblick essentiell erfahren, was es heißt, verstoßen zu sein, ein anderer zu sein. Zugleich hab ich aber auch erkannt, wie wichtig es ist, bei sich zu sein und sich selbst treu zu bleiben. Für nichts in der Welt hätte ich um Einlass gebettelt. Das mag man jetzt Stolz nennen, für mich war es ein Akt der Selbstachtung.
Der Mann aus Samarien war nicht nur ausgestoßen, er war auch ein Fremder in der Welt Galiläas. Er war ein Ausgestoßener in der Fremde. Und als Fremder geht er auf einen Fremden zu: auf Jesus. Und in dieser Begegnung geschieht Ungeheuerliches: Ein Fremder traut einem Fremden und zeigt eine große Vertrautheit. Jesus ist gerührt von dieser Geste und erwidert ihm: „Dein Glaube hat dir geholfen“. Jesus traut dem Glauben des Fremden. Er sagt ja eben nicht „mein Glaube wird dir helfen, der Glaube an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Glaube der Väter an den Schöpfergott Jahwe; all das sagt er nicht. Er sagt: „Dein Glaube hat dir geholfen“. Jesus vertraut dem Glauben des Fremden aus Samaria. Interessant finde ich an dieser Stelle, dass über den Glauben des Ausgestoßenen gar nichts gesagt wird. Sein Glaube bleibt uns verborgen.
Allein, dass er glaubt ist wichtig, und dass sein Glaube Dankbarkeit und Vertrauen nach sich zieht. Dieses Wechselspiel von Vertrauen und Dankbarkeit ermöglicht Menschlichkeit über alle Unterschiede hinweg.
Mir wurde in dieser Situation dort in Rom bewusst, wie wertvoll es sein kann, sich in die Rolle eines oder einer anderen hineinzuversetzen, die oder der nicht dazugehört, ausgestoßen ist vom Mainstream Etablierten.
Wer eine solche Erfahrung gemacht hat, für den ist eine Konsequenz unabdingbar: Menschlichkeit sticht immer jede Lehre. Oder um es anders zu sagen: Die Lehre ist für den Menschen da, nicht der Mensch für die Lehre. Papst Leo umschreibt es passend in seinem ersten Lehrschreiben „dilexi te“, wenn er dazu aufruft, "Strukturen der Ungerechtigkeit mit der Kraft des Guten zu erkennen und zu zerstören".
Jesus, damals, hat das Gute, das Schöne, das Wertvolle in dem Aussätzigen gesehen, wo alle anderen nur die Geschwüre gesehen haben. Er hat einen Glauben wahrgenommen bei dem, den die anderen als Ungläubig abgestempelt haben.
Diese Ermutigung Jesu, dem Glauben des anderen zu vertrauen, ist eine Ermutigung für uns heute, die wir in der Gefahr stehen, zu schnell andere in Schubladen zu stecken, so dass wir eher aussondern als einzuladen.
Wie schreibt Papst Leo in seinem ersten Lehrschreiben? Obwohl es nicht an Theorien fehle, die versuchten, den aktuellen Zustand zu rechtfertigen, sei die Würde eines jeden Menschen jetzt und nicht erst morgen zu respektieren.